Der Petzer

Text | Personen, Schulen | Samstag, 01 Juli 1950

Der Petzer

Ernst-Joachim Döring

Unsere Mutter musste erstmals die Haftpflichtversicherung in Anspruch nehmen. Und das kam so: Der Sommer war heiß. Sie stand in ihrem geliebten Garten mit dem Wasserschlauch in der Hand und bewässerte in hohem Bogen Blumen und Sträucher. Da kam auf der Schulstraße Frau Schönberg vorbei, mit der sie sich gerne unterhielt. Das Gespräch über den Gartenzaun dauerte länger, und der Schlauch entglitt der Aufmerksamkeit. Der Strahl ging zielgenau in das offene Schlafzimmerfenster unserer Mieter und setzte Daunendecken und Betten unter Wasser. Der Schaden war nicht unerheblich.

Nun stellte uns in der Quinta, dem 6. Schuljahr unsere Deutschlehrerin, Fräulein Mockert, als Klassenarbeit die Aufgabe, statt des üblichen Aufsatzes einen Sachbericht, ein amtliches Schreiben oder Ähnliches zu fertigen. Unter dem Eindruck der häuslichen „Katastrophe“ habe ich die Schadensmeldung an die Versicherung mit allen Details verfasst. Ich bekam eine „eins“ und ein freundliches Zwinkern auch anderer Lehrer. Fräulein Mockert hatte die Geschichte natürlich auch im Kollegium zum Besten gegeben.

Meiner armen Mutter, auf deren Kosten sich alle amüsiert hatten, habe ich meine „eins“, und wofür ich sie erhalten hatte, erst später mit schlechtem Gewissen gebeichtet. Sie hat sich nicht sehr gefreut, aber gute Miene zum bösen Spiel gemacht.