Fünf Mark zum Geburtstag

Text | Personen | Dienstag, 18 Mai 1954

Fünf Mark zum Geburtstag

von Georg Kiefer

Es war am 18. Mai 1954, dem fünften Geburtstag meines Zwillingsbruders und von mir. Am gleichen Tag hatte auch "Onkel Rudolf " in Schladern Geburtstag. Er war 60 Jahre älter als wir, nicht verwandt mit uns, aber ein guter Freund der Familie. Er, Besitzer einer kleinen Kupferfabrik, wohnte mit seiner Frau, "Tante Berta", nicht weit von der Bahnstraße entfernt, in der wir in einer Mietwohnung lebten.

"Denkt daran, Onkel Rudolf zum Geburtstag zu gratulieren!", waren die Worte unseres Vaters, mit denen wir uns dann auch auf den Weg machten. Nachdem wir ihm gratuliert hatten, gratulierte auch er uns, und als Geschenk bekam jeder von uns ein Fünf-Mark-Stück in die Hand.
So viel Geld! Das war für uns nicht vorstellbar! Wir kannten in unserem Kinderdasein Ein-, Zwei-, Fünf- und Zehnpfennigstücke. Ich hatte das Gefühl, mit einem Schlag so reich zu sein, dass ich die ganze Welt hätte kaufen können.
Ganz stolz machten wir uns auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, zeigten wir unseren Eltern sofort das silberne, glänzende Fünfmarkstück mit dem Adler drauf. Die Eltern schauten uns auch erstaunt an, und dann folgte der entscheidende Satz unseres Vaters: "Wo sind eure Spardosen?"

Einige Monate vorher hatten wir von Herrn Schröder bei der Volksbank Spardosen bekommen, die nur von der Bank geöffnet werden konnten. Die holten wir hervor, und dann gaben wir nach Aufforderung des Vaters jeder sein Fünfmarkstück in die Spardose.
Plupp, plupp. Jetzt hatten wir gar nichts mehr! Eben noch war ich der reichste Mann auf Erden, und jetzt das!

Michael und ich aber waren uns nach dieser Enttäuschung ganz schnell einig: Wenn wir nächstes Mal dem Onkel Rudolf gratulieren und bekommen wieder jeder fünf Mark, dann geben wir nicht alles davon in die Spardose.
Und so kam es dann auch. Zum nächsten 18. Mai gratulierten wir Onkel Rudolf und bekamen wieder jeder fünf Mark. Sofort nachdem wir sein Haus verließen, hatten wir unseren "Schlachtplan" parat.

Für zwei Mark holt sich jeder in der Bäckerei Höffer neben dem Bergischen Hof "Klitsch", d. h. Süßigkeiten jeder Art. Und davon hatte die alte Frau Zumbusch, die uns in der Bäckerei ihres Schwiegersohnes bediente, in großer Auswahl auf der Theke stehen: Nappo, Brause, Schokolade, Lutscher, Bonbons, "von die dicke Kanold", Kaugummi, und was das Herz noch so alles begehrte.

"Für jeden von uns bitte für zwei Mark Süßes", sagte ich mit zitternder Stimme. Ich hatte Sorge, was Frau Zumbusch wohl denken würde, wenn wir beide mit fünf Mark bezahlten. Aber sie sagte nichts, und wir bekamen jeder sechs Tüten voll Süßigkeiten für unseren Einkauf. Schon recht aufgeregt waren wir beide, als wir die Bäckerei verließen mit so viel "Schluch" und dazu noch drei Mark in der Tasche.

Jetzt aber begann erst die richtige Herausforderung für uns. Kommt der Papa mit dem Auto von zu Hause und fährt in den Ort, kann er uns sehen, kommt er aus dem Ort und ist auf dem Heimweg, sieht er uns auch. Aber er darf uns nicht so nicht sehen. Also gingen wir mit dem Rücken zur Straße von der Bäckerei bis zum Bergischen Hof, dann schauten wir uns schnell um, ob die Straße frei war, dann sausten wir, so schnell wir konnten, gegenüber dem Bergischen Hof die Treppe zur Bahn hoch. Hier waren wir in Sicherheit. Noch schnell bis zur Firma Langen's Handwagenfabrik, dann auf das Grundstück der Familie Hermann Langen, unserem Nachbarn, dann verschwanden wir flugs in dem kleinen Schuppen im Garten der Familie Gauchel, unseren Vermietern.
Dort haben wir genüsslich etliche der leckeren Süßigkeiten durchprobiert, so dass uns am Ende schon nicht mehr ganz wohl war.

Und nun stand die Frage im Raum: Was machen wir, wenn wir den Eltern das "unvollständige" Geld zeigten? Sollte der Papa herausbekommen, dass wir zwei Mark für "Klitsch" ausgegeben haben, dann gibt das ein ordentliches Donnerwetter. Aber lügen würden wir nicht, denn wir hatten schon die Erfahrung gemacht, dass das bei unseren Eltern allenfalls unnötigen Ärger einbrachte.

So gingen wir ziemlich aufgeregt und mit Grimmen im Bauch zu den Eltern und begrüßten sie mit den Worten: "Wir haben gratuliert!", und streckten ihnen die Hand mit dem Geld hin. Als Vater das Geld in unseren Händen sah, fragte er wieder: "Wo sind eure Spardosen?"
Wir holten sie und steckten ohne jede Regung die drei Mark dort hinein. Eigentlich hätten die Eltern an unserem Verhalten merken müssen, dass da etwas nicht in Ordnung war.

Nach langer Zeit des Schweigens haben wir unseren Eltern dann die ganze Geschichte erzählt. Wir waren auch da noch der Meinung: Wenn wir schon das ganze Geld "opfern" mussten, so hätten sie uns doch wenigstens einen Kleinstbetrag überlassen können.

 

Schladern von der Waldbröler Straße aus mit Haus Augustin, später Kiefer

 

 

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