Die Bestgens - eine bemerkenswerte Familie aus Windeck

Text | Dorfgeschichten, Personen | Montag, 01 Januar 1900

Die Bestgens - eine bemerkenswerte Familie aus Windeck

Aufgeschrieben von Karin Baum aus Au

Dieses Wegekreuz, an der Hauptstraße in Dattenfeld, wurde 1889 von den Geschwistern Bestgen zum Gedenken an ihre Eltern Johann Wilhelm und Katharina Bestgen, geb. Voss,
errichtet.

Laut Auskunft älterer Mitbürger gehörte das Areal um Haus 76/78 früher der Familie Bestgen. Dann soll es die Sparkasse für den Bau einer Filiale erworben haben. Die Baupläne wurden allerdings nicht realisiert und der Grundbesitz an die Bauherren der heutigen Häuser weiterverkauft.

Vater Johann Wilhelm Bestgen (1808 - 1855) war Küster in der katholischen Kirche in Dattenfeld. Seine Frau Katharina, eine geborene Voss aus der Burg Mauel, heiratet ihn im Alter von 17 Jahren. Sie bekamen zwischen 1840 und 1854 sieben Kinder:

Katharina 1840 + 1912
Josef 1841
Henrietta 1843
Wilhelm 1846 + 1936
Karl 1848 + 1943
Daniel 1851 + 1944
Heinrich 1854

 

Die älteste Tochter Katharina heiratete 1859 Gottfried Piller. Sie wohnten mit ihren sechs Kindern in Dattenfeld an der Straße nach Dreisel oberhalb des Friedhofs.

Dieses Haus verkaufte deren Tochter - Carolina H. Piller -- im Jahre 1915 an die Gemeinde Dattenfeld, die es dem Arzt Dr. Molly zu Verfügung stellte. Im Volksmund heißt das Gebäude noch heute Dr. Molly- Haus.

Tochter Katharina heiratete 1859 Gottfried Piller, mit dem sie sechs Kinder hatte. Nach dessen Tod (1874) heiratete sie den Witwer Wilhelm Kolb und bekam zwischen 1876 und 1886 weitere vier Kinder.

Über Sohn Josef ist leider nichts bekannt.

Tochter Henrietta heiratete den Kaufmann Karl Kern aus Dillenburg

Sohn Wilhelm erlernte den Beruf des Instrumentenbauers und eröffnete 1871 das Musikhaus Bestgen in Bern (Schweiz). Zusammen mit seinem Sohn Gustav entwickelte er ein sogenanntes Bernaphon - eine Art Grammophon. Unter der Firmierung "Bestgen und Sohn" stellten sie Geigen, Zithern, kleine Akkordeons (Handörgli) und andere Instrumente her und gründeten einen Musikverlag.

Sohn Karl ging zum Militär. Er diente in Mainz als Garnisons-Verwaltungs-Inspektor und wurde 1913 mit dem Orden "Roter Adler IV. Klasse" ausgezeichnet.

Sohn Daniel: war Konditor von Beruf. Er betrieb in Düsseldorf ein großes Café mit 170 Sitzplätzen in der Friedrichstrasse 61b. Als die Glanzzeiten der Cafés Anfang der 1960er Jahre zu Ende gingen vermietete sein Sohn Willy (1882 -1966) die Flächen und konnte davon besser leben, als von den Erträgen des Cafés.

Sohn Heinrich stellte im Alter von 19 Jahren den Antrag auf Auswanderung in die USA. Er beabsichtigte in New-Mexico in das Geschäft seines Cousins einzusteigen. Ob bzw. wie lange er dort war ist nicht bekannt. Er heiratete später in Belgien Leopoldine Rousseau (1866 -1926) und blieb dort bis etwa zu Beginn des ersten Weltkriegs. Dann stellte er einen Antrag auf Wiedereinbürgerung und übersiedelte mit seiner Familie, den Söhnen Otto, Herbert und Leo, der Tochter Martha und den Schwiegertöchtern in die Heimat, nach Schladern ins sogenannte „Türmchenhaus.“

Daniel, Karl und deren Familien sind wohl auch wieder in die Heimat zurückgekehrt, davon zeugen ihre Grabstätten auf dem Friedhof in Dattenfeld.


Auch in der zweiten Generation finden sich bemerkenswerte Personen

Wilhelms Sohn Albert (1880 -1962) trat als Privatgelehrter mit seinem Buch "Gedanken und Bausteine einer Kosmologie" im Jahre 1930 in Erscheinung. Er war mit dem Welteisforscher Hanns Fischer gut bekannt. Dieser schrieb über Albert Bestgen: "Albert brachte es fertig zwischen 1940 und 1944, obwohl in der Schweiz lebend, üppige Forschungsbeihilfen vom deutschen Reich zu erhalten. Er hatte versprochen, dafür eine "Wundergeige" zu entwickeln und den Beweis anzutreten, dass Gotik die Hoheitsform aller Kunst sei. Beides hat er nie vorgelegt. Ebenso wenig konnte er trotz intensiver Suche seine Behauptung nachweisen, dass in Mindelheim der Nachlass des Arztes und Philosophen Paracelsus unter dem Altar der Schlosskapelle vergraben liegt.“ (Bericht im SPIEGEL Nr. 39 des Jahres 1957)

Sohn Gustav baute das Geschäft in Bern weiter aus.

Karls Sohn Carl fiel im ersten Weltkrieg als Leutnant in Cernay (Frankreich).

Heinrichs Sohn Herbert nahm am Palästina-Krieg als Major teil. Sein Bruder Leo (1895 - 1984) hatte eine Anstellung als Prokurist bei der Firma Elmore‘s gefunden.

Katharinas Sohn Franz-Josef (1869 - ) ging 1885 nach Brüssel, lernte Schneider und zog nach seiner Heirat in die damalige Modemetropole Paris.

Tochter Louise (1876 - 1957) war schon 1898 als Lehrerin in Straßburg angestellt. Sie heiratete 1911 Dr. Frohn, der von 1907 - 1911 in Dreisel Lehrer war. Er bildete sich fort zum Taubstummenlehrer und wurde später Direktor der Gehörlosenschule in Trier.

Tochter Anna (1879 - 1959) betrieb mit ihrem Ehemann Ludwig Rath ein großes Feinkost-Geschäft in Köln in der Bolzengasse 1 - zwischen Heumarkt und Gürzenich.

Sohn Karl (1886 - 1919) war als Prokurist in Düsseldorf angestellt.

Aus der dritten Generation

stachen die Söhne Gustavs als bekannte Musiker hervor. Willy (1914 -1976) besuchte nach seiner Lehre als Geigenbauer das Konservatorium für Cello. Er war als Jazzmusiker, Orchesterleiter, Plattenproduzent, Komponist und Verleger bekannt. Er trat sowohl unter seinem Namen als auch unter Pseudonymen auf und veröffentlichte zahlreiche LPs. Nach Abschluss seiner Musikerkarriere Anfang der 1950er Jahre gründete Willy das Geschäft Music Bestgen in Luzern, und wechselte damit später nach Davos.

Auch sein Bruder Erwin leitete verschiedene Bands. Sie spielten u.a. mit Lys Assia und Vico Torriani und begleiteten sie auf Tourneen. Erwin führte mit seinem Bruder Gustav jun. das Familienunternehmen Musikhaus Bestgen in Bern weiter.

Von Gustav Bestgen jun. erfahren wir aus einem Radio-Interview des Schweizer Senders "dr Wecker" aus dem Jahre 1993: "Er ist ein Musiker, Seebär und Lebenskünstler". Nach seiner
Schulzeit absolvierte er eine Lehre zum Kaufmann. Seinen Wehrdienst beendete er als Leutnant, zwischenzeitlich musste er in das Familienunternehmen einsteigen, weil sein Vater Gustav Anfang des Krieges einen Hörschaden erlitten hatte. Er galt als einfall- und phantasiereicher "Tüftler", lebenslustig und lebensfroh, reisefreudig und voller Vitalität dank einer guten Gesundheit. Er hatte auch ein eigenes Orchester und spielte dort Schlagzeug.
Daneben galt seine Liebe dem Wasser und seinem Segelschiff.

Leos Sohn Norbert (1925-1978) bekleidete als Jurist von 1969 bis 1977 das Amt des Kreisdirektors im Rhein-Sieg-Kreis und danach bis 1983 das des stellvertretenden Oberkreisdirektors. Nach Ende seiner Amtszeit war er als Dozent der Verwaltungsschule in Bonn tätig. Daneben gehörte er über 15 Jahre dem Gemeinderat in Windeck an.

Zusammenfassend ergibt sich das Bild einer Familie, die von Weltoffenheit, Toleranz, Gradlinigkeit, Humor, Einfallsreichtum, Musikalität, handwerklichem Geschick und vielseitigem Interesse geprägt war.

Quellennachweis:
Die im Text genannte Passage über Albert Bestgen - von Hanns Fischer ist nachzulesen in den "Akten zur Welteislehre“ von Hanns Fischer im Bundesarchiv Potsdam Archiv Katalog 16 - Wissenschaftliche Außenseiter.

Die Geschichte von Gustav Bestgen jun. fand ich in "Fernsehanlagen - DrWecker vom 31.05.1993 S.5"

Daten von Willy Bestgen (Orchesterleiter) habe ich einem Bericht aus der "Berner Zeitung" von Samuel Mumenthaler und aus dem Blog SILVER TRAIN von Andreas Gossweiler entnommen.

Das Foto der Gebrüder Bestgen stammt aus dem Privatbesitz von Betty Bestgen, der Witwe von Willy Bestgen aus Bremgarten (Schweiz)

 

Hauptstraße 76
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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