Holzspielzeug gegen Brot getauscht

Zeitungsartikel | Weltkriege, Verschwundene Orte | Mittwoch, 27 Mai 2009

 

 

Von Sylvia Schmidt

WINDECK. Mehr als 65 Jahre haben die Spuren von drei Lagern für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die damals am Stein in Windeck-Schladern standen, verwischt. Doch es gibt noch Schladerner Bürger, die sich als Kinder vom Schicksal der polnischen, französischen, italienischen und russischen Zwangsarbeiter hatten rühren lassen. Einige Zeitzeugen folgten einer Einladung von Anne Röhrig aus Schladern und von Dr. Richard Grothus, der als Vertreter der Gemeindeverwaltung in das Kabelmetal-Projekt der Agenda 2010 involviert ist.

Anne Röhrig griff den Impuls auf, den der Leuscheider Gymnasiast Marcel Schmidt mit seiner Facharbeit „Zwangsarbeit während des zweiten Weltkriegs in Schladern“ ins Rollen gebracht hatte. Nicht persönlich anwesend, aber vorab befragt, erinnert sich da der ehemalige Schladerner Heinz Langen an den Bau von einfachen Holzbaracken im Jahr 1938/39 auf dem Parkplatz des heutigen Biergartens der Kulturmanufaktur. Hermann Schmidt verbrachte seine Kindheit am Stein und beschreibt das Russenlager oberhalb von Höffers Teich: „Die Gebäude waren mit Stacheldraht umzäunt, Soldaten hielten Wache. Viel Platz brauchten die Gefangenen nicht, sie wurden zusammen- gepfercht“ Der Bevölkerung war es bei Strafe verboten, die Zwangsarbeiter mit Nahrung oder Unterkunft zu unterstützen. Unterschiedlich sind die Aussagen zur Anzahl, sie differieren zwischen 50 und 100 Menschen. An die ersten Russen, die etwa gegen Ende 1942 in Schladern eintrafen, erinnert sich Heinz Setzer: „Mit Holzklumpen an den Füßen wurden sie als Bahnarbeiter eingesetzt.“

Mit Essen wurde „gemaggelt“, erzählt Setzer. „Die Arbeiter litten an Hunger, am Wenigen, das ihnen zugeteilt wurde, bediente sich mancher Bewacher.“ Viele Schladerner hatten Mitleid und hielten sich nicht an die Verbote. Josef Käsberg sah, wie die Männer, wenn sie abends von Bahnhof kamen, die Strafe nach Kippen und Schnecken absuchten. „Die Russen zeigten auf den Mund und fielen vor uns auf die Knie, wenn wir ihnen Butterbrote durch den Zaun reichten‘, erinnert er sich an entwürdigende Augenblicke. Beliebt war bei Kindern von den Russen geschnitztes Spielzeug. .Wir tauschten einen Laib Brot gegen ein Holzflugzeug“, so Setzer; und Käsberg fügt an: „Die Wärter schauten weg. Nur einer taugte nicht, der jagte uns immer weg. Zweimal erlebte Heinz Setzer, wie tote Gefangene an seinem Haus vorbei über einen Feldweg von Russen und Wächtern zum Friedhof gebracht wurden. „Sie waren an Hunger gestorben, die Beine baumelten aus dem Strohsack heraus. Sie wurden am Weg zum Sportplatz verscharrt. Nach dem Krieg wurden sie auf den Friedhof umgebettet.“

In der Schreinerei von Karl Klüser half der französische Kriegsgefangene Robert Dumont. Klüser, der Vater von Zeitzeugin Christel Hoppe, holte ihn morgens an der Baracke oberhalb des Russenlagers ab, seine Tochter brachte ihn nachmittags zurück. Mittags aß er am Familientisch. „Eines Tages klingelte während des Mittagessens der Ortsgruppenführer.“ Blitzschnell wechselte Dumont an einen Tisch im Nebenzimmer, der für Kontrollen immer provisorisch gedeckt war. Aber auch Lustiges fällt ihr ein. „Vom Metzger sprach Dumont immer als ‚Monsieur Schwein‘“.

Auch Helga Stöcker, geborene Bestgen, vorab befragt, erzählte von ihren Besuchen am Lager. „Ich brachte jeden Morgen von der Schule Butterbrote ins Lager.“ Ihre Eltern forderten regelmäßig Arbeiter für die Gartenarbeit an. „Meine Mutter päppelte sie dann auf. Ich erinnere mich gut an Ivan. Er sang vorzüglich das Wolgalied und mein Vater begleitete ihn am Klavier.“ Eines Tages im Winter beobachtete ihr Vater Leo, wie ein nackter Russe draußen mit kaltem Wasser übergossen wurde. Empört reichte er eine Beschwerde ein. Der Vorfall ist auch anderen Zeitzeugen bekannt, Josef Käsberg kann etwas zum Antwortschreiben sagen, im dem es sinngemäß hieß, in Zukunft werde man dafür sorgen, daß solche Dinge nicht mehr in der Öffentlichkeit passieren.

Weil es bisher weder Bilder von den Lagern noch andere Dokumente gibt, sind die handschriftlichen Einträge russischer Kriegsgefangener, die Helga Stöcker aus ihrem Poesiealbum zur Verfügung stellte, siehe unten, besonders wertvoll. Gesucht werden weitere Zeitzeugen und Bildmaterial aus dieser Zeit. Kontakt: Anne Röhrig, 02292 – 3822

Bildunterschrift: Ihre Erinnerungen teilten (von links) Heinz Setzer (80 Jahre, + 2020), Hermann Schmidt (72 Jahre) und Josef Käsberg (77 Jahre, + 2010) mit Dr. Richard Grothus und Anne Röhrig (Foto: Schmidt)

Quelle: Rhein-Sieg-Rundschau

 

 

 

Aus den "Schladerner Splittern" von Karl-Heinz Röhrig: "Auf dem Aufgang zum neuen Weg an der Bahn vorbei stand das Lager für russische Kriegsgefangene. Hier hatte Baum von der Bodenbergstraße die Aufsicht."

Heinz Setzer, Josef Käsberg und Hermann Schmidt berichteten als Zeitzeugen bei einem Ortstermin im Mai 2009 über die drei Zwangsarbeiterlager am Stein bei Schladern. Foto: Sylvia Schmidt.

 

Orange war das russische, blau das italienische und französische Kriegsgefangenenlager eingezeichnet. Das polnische Zwangsarbeiterlager ist rot markiert. Repro: Sylvia Schmidt.

 

Dieses Holzspielzeug aus dem Nachlass von Harald Weber aus Schladern (1941 – 2010) wurde möglicherweise in einem der Schladerner Lager hergestellt.

 

 

 

Schönecker Weg 5
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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