Dr. Molly

Zeitungsartikel | Ärzte | Freitag, 31 März 1950

Ein Arzt von außergewöhnlicher Prägung

Der Erste Weltkrieg war gerade beendet, als sich in der Gemeinde Dattenfeld, die damals, ähnlich wie die Nachbargemeinden, ärztlich wenig gut versorgt war, ein junger Mann meldete, der durch den Versailler Vertrag stellungslos geworden war. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt in Neutral-Moresnet praktiziert, einem kleinen Ort dicht hinter der Grenze südlich von Aachen. Seit dem Wiener Kongress bestand dort, bedingt durch ein seltenes Erzvorkommen, ein politisches Kuriosum. Neben einem belgischen und einem preußischen Moresnet gab es noch einen gemeinsam verwalteten Teil, eben Neutral-Moresnet, wo Dr. Carl Molly seine Praxis gehabt hatte. Mit der Entscheidung des Versailler Vertrages, Eupen-Malmedy an Belgien abzutreten, wurde auch der Raum Moresnet politisch bereinigt, fiel also an Belgien, und Dr. Molly musste oder wollte ins Reichsgebiet.

30 Jahre lang wirkte Dr. Molly als der Prototyp des Landarztes und Chef des kleinen Krankenhauses in Dattenfeld.

In der Gemeinde Dattenfeld war man über die Absicht, in Dattenfeld eine Praxis zu errichten, erfreut. Aber es gab Schwierigkeiten, denn Dr. Molly kam ziemlich mittellos, jung verheiratet, mit zwei kleinen Kindern. Er, der in Altenkirchen am 27. Juli 1884geboren wurde, hatte am 12. November 1912 in Siegburg, Emilie, die Tochter des dortigen Königlichen Kreisarztes Dr. Eickhoff geheiratet. Die Töchter des Ehepaares, Anneliese und Helga, würden später, recht schnell flügge geworden, nach Afrika auswandern.

In diesem Januar 1919 aber bemühte sich Dr. Molly in Dattenfeld um die Eröffnung einer Arztpraxis. In der Gastwirtschaft Franz Koch in Wilberhofen nahm er Logis, behandelte dort auch Patienten. Mit Hilfe der Gemeinde Dattenfeld kaufte er ein Haus, das heutige Dr. Molly-Haus an der Grundschule. Die Gemeinde wirkte beim Besitzwechsel des Haus entscheidend mit, vielleicht auch durch finanzielle Hilfe, verlangte dafür aber von Dr. Molly die großzügige Behandlung der Armen in der Gemeinde. Wie weit diese Abmachungen bindend gewesen sind, ist unbekannt. Jedenfalls war es fast schon sprichwörtlich, wie Dr. Molly Minderbemittelten geholfen hat. 1927 erweiterte Molly sein Haus um einen Quertrakt. Täglich war seine Praxis überfüllt mit Hilfe suchenden Patienten. Sie kamen aus der heutigen Gemeinde Windeck und sogar aus dem Raum Weyerbusch. Seine Besuche machte der Doktor in den ersten Jahren mit dem Fahrrad, danach mit dem Motorrad und schließlich im Auto, chauffiert von seinem langjährigen Dattenfelder Fahrer Josef Thewes. Wenn er gerufen wurde, spielten Tageszeit und Witterungsverhältnisse nur am Rande eine Rolle.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Katholische Kirchengemeinde Dattenfeld ein Krankenhaus errichtet, das von Augustinerinnen geleitet wurde. Dr. Molly, ein tüchtiger Chirurg, übernahm sofort nach seiner Ankunft die Leitung des Hauses und behielt sie bis zu seinem Tode bei. Vor der Sprechstunde hatte er meistens schon operiert, zumindest Visite gemacht. Oft riefen ihn Bedienstete des Krankenhauses aus der Sprechstunde zu Notfällen. Noch Jahrzehnte später war der kleine Fußweg zu sehen, den der hünenhafte Mann mehrmals täglich von der Praxis zum Krankenhaus zurücklegte hatte.

Lautlos und ohne Probleme wurde schon damals im Krankenhaus die Ökumene zwischen dem evangelischen Arzt und den katholischen Schwestern praktiziert. Bei jeder Operation assistierte eine der Ordensschwestern. Eine damalige Mitarbeiterin berichtete Willi Schröder von einer amtlich nicht angemeldeten Geburt eines jüdischen Kindes während des Krieges im Krankenhaus unter der Obhut von Schwester Oberin und Dr. Molly. Die Familie soll heute in Israel leben und auf einer Deutschlandreise nach dem Krieg Dattenfeld noch einmal besucht haben. Ebenso ist viel Gutes in den Gefangenen- und in den Zwangslagern mit Hilfe von Dr. Molly getan worden.

(Nach Niederschriften von Willi Schröder)


Unerwartet früh verstarb der beliebte Arzt am 31. März 1950 um 20.50 Uhr.

Repros: Schmidt

Von Sylvia Schmidt, erschienen im Stadt Magazin Eitorf, Ausgabe April 2006

 

 

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