Meine Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren

Text | Dorfgeschichten, Personen | Mittwoch, 01 Januar 1947

Meine Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren - Erika Engelhardt erzählt

aufgeschrieben von Susanne Lock

„Ich bin 1947 geboren und wuchs als Einzelkind ohne Geschwister auf. An meinen Vater Emil Himmeröder habe ich nur wenige Erinnerungen, er erkrankte an Oberkieferkrebs und ein halbes Jahr später starb er, als ich vier Jahre alt war. Er wurde nur 38 Jahre alt. Vier Jahre nach meinem Vater starb mein Opa Gerhard. Bis dahin lebten wir zusammen mit meinen Großeltern im Bauernhaus an der Schnepperstraße 30“.



Ehemaliges Wohnhaus der Familien Hundhausen und Himmeröder. Foto Susanne Lock

Als junge Witwe musste Erikas Mutter Hedwig das Geld für die Familie verdienen. Sie ging wieder zu Schoeller in die Kammgarnspinnerei. Die Landwirtschaft wurde verkleinert und allmählich aufgegeben. „Als Einzelkind stand ich im Mittelpunkt unserer Familie und hatte eine schöne Kindheit.



Erika 1951

Schon mit fünf Jahren kam ich in die Schule nach Schneppe. Anfangs begleitete meine Oma mich zu Fuß bis zur Schule und manche Wegstücke nahm sie mich Huckepack auf den Rücken. Bei Schnee war der Schulweg oft zugeweht und die Werfener Eltern mussten den Schulkindern den Weg freischaufeln, besonders auf dem freien Stück vor Schneppe. Ich war immer eine sehr gute Schülerin. Unser Lehrer Herr Ritz hatte neben dem Unterricht viele Ideen, die unseren Schulalltag interessant machten. So gestalteten wir älteren Schülerinnen und Schüler ein großes Wandbild für den Pausenhof, auf dem die bunten Wappen aller deutschen Bundesländer abgebildet waren. Da ich so gerne malte, erteilte der Lehrer mir den Auftrag, die Umrisse der kleinen Wappen aus dem Schulbuch auf Blechtafeln in groß zu übertragen. Die anderen malten die Wappen aus.

Mein Berufswunsch zu dieser Zeit war Malerin. Lehrer Ritz bastelte viel mit uns. Mit den Jungen baute er aus Sperrholz Weihnachtspyramiden oder Modellflugzeuge und Schiffe, in die eine Fernsteuerung eingebaut wurde. Einmal hat er sogar mit den älteren Schülerinnen und Schülern eine Hammondorgel selbst gebaut. Wir Mädchen bekamen dienstags Unterricht in Handarbeit, zu dem Frau Recke, gekleidet in einen grauen Gummimantel, auf ihrem „Herrmännchen“ (Moped), aus Stromberg angefahren kam. In der Schule lernten wir viele Lieder und gingen zu Fuß mit dem Lehrer in die Dörfer unseres Schulbezirks, um bei Jubiläen wie einem 80. Geburtstag oder einer Goldhochzeit vor der Haustür der Feiernden ein Ständchen zu singen.

Auf dem Schulgelände lebte ein zahmer Rehbock, der eine Freundin einmal verfolgte, als sie über den Schulhof zur Toilette gehen wollte. Er erwischte sie nicht, knallte aber mit seinem Schädel von außen gegen die Toilettentür. Familie Ritz hatte auch zwei Doggen namens Ite und Ajax und hinter dem Schulhaus einen Biber, der in einem eigens für ihn angelegten kleinen Weiher lebte. Wenn unser Lehrer Geburtstag hatte, kam seine Frau in den Klassenraum mit selbstgebackenem Kuchen oder „Kräbbelchen“. Anschließend hatten alle schulfrei.

Manchmal gab mir Herr Ritz während der Unterrichtszeit eine Einkaufsliste von seiner Frau mit dem Auftrag, schnell mit dem Fahrrad in Niederalsen bei Weyrich einzukaufen. Samstags war auch Unterricht, den wir meistens im Wald verbrachten, etwa auf Wanderungen, mit dem Sammeln von Waldbeeren beschäftigt oder im benachbarten Tannenwald „Banner“ (Räuber-und Gendarmspiel mit einer Büchse) spielten.

Wenn unserem geliebten Lehrer manchmal der Kragen platzte, hieß es „Ihr seid so doof, wie dem Scheffelmann seine Säue“ oder „Ich möchte lieber Schweinehirte sein als euer Lehrer.“ Diese Aussprüche waren so lustig, dass alle Schüler sie heute noch kennen.



Schulklasse Schneppe 1958

Von li. 1. R. oben: Gerd Weber, Irene Fuchs, Hiltrud Himmeröder, Edelgard Thiel, Dieter Propach.

2. R. v. oben: Werner Wittke, Herbert Brox, Bernd Fuchs, Liesel Heimbach.

3. R.v. oben: Irene Hundhausen, Heinz-Günter Uhlig, Dietmar Bitzer, Norbert Fuchs, Erika Himmeröder, Waltraud Himmeröder, Heidi Stöber, Lehrer Helmut Ritz.

4. R. v. oben: Eva Maria Wussow, Rolf-Willi Schmidt, Hans-Günter Wagenknecht, Gisela Prokop, Werner Dumke, Hannelore Himmeröder, Sonja Himmeröder.

Reihe unten: Walter Uhlig, Dieter Reisbitzer, Dietmar Laer, Ewald Stommel, Eckard Link, Günter Breuer

Wenn ich mittags aus der Schule kam, hatte meine Oma gekocht. Zum Spielen ging ich täglich raus ins Dorf, wobei Fahrradfahren und Rollschuhlaufen meine Lieblingsbeschäftigungen waren, denn die Hauptstraße im Dorf war neu asphaltiert worden. Mein Höhepunkt der Woche war sonntags Fernsehen bei Dumkes mit der Sendung „Am Fuß der blauen Berge“ in schwarz-weiß. Als Teenager fuhr ich jeden Sonntag mit dem Zug nach Eitorf und ging mit meiner Freundin Brigitte ins Kino und danach in die Eisdiele.“

Es war schwierig für Erikas Mutter, in das von Emil geerbte Haus auf dem Beuel einzuziehen. Denn Emils Schwestern wohnten noch darin. Emil Himmeröder hatte bereits 1939/1940 das Haus für seine spätere Familie gebaut. Albert half seiner Schwester Hedwig in einem langwierigen Rechtsstreit, dass Emils Schwestern schließlich aus dem Haus auszogen. Als Erika 12 Jahre alt war, zog sie mit Mutter und Großmutter in das Haus oben zum Beuel 16 ein.


Haus auf dem Beuel, 1970

„Mein Onkel Heinrich Hundhausen baute uns zum Einzug eine Toilette mit Wasserspülung ein und für unseren Schutz zog er einen Maschendrahtzaun um das Grundstück. Denn das Haus stand einsam am Waldrand hoch über Werfen. Am Eingangstor war eine Klingel angebracht. Mama und Oma besorgten uns zusätzlich einen Wachhund, der tagsüber an einer langen Kette und einer Hundehütte draußen war. Schäferhund Prinz bewachte uns erfolgreich vor unerwünschtem Besuch, wurde aber leider mit der Zeit ein gefährlicher Beißer, sodass wir ihn abschaffen mussten. In den ersten Jahren war unser Haus ein Dreimädelhaus. Mama verdiente das Geld, Oma versorgte mich und machte den Haushalt und ich steckte meine Energie in meine Ausbildung. Im Umzugsjahr 1959 erhielt meine Oma eine Rentennachzahlung aus der landwirtschaftlichen Alterskasse und sie kaufte uns davon einen neuen Schwarzweißfernseher“

Nach 8 Schuljahren besuchte Erika zunächst die Haushaltungsschule in Eitorf, „Puddingakademie“ genannt, daran anschließend die zweijährige Handelsschule. Mit dem erlangten Abschluss der mittleren Reife konnte sie bei der Kreissparkasse Eitorf als Bankangestellte anfangen.

„Wir mussten täglich alles, was anfiel, eigenhändig maschinell verbuchen: jede Einzahlung, jede Auszahlung, jede Überweisung. Per Durchschlag wurden so auch die Kontoauszüge erstellt. Einen Zentralrechner gab es noch nicht. Ich ging sehr gerne arbeiten und war froh, eigenes Geld zu verdienen. Mit sechzehn hatte ich meinen ersten Freund, den ich schon mit 18 Jahren heiratete und bald darauf kam auch schon mein erster Sohn zur Welt.“

Die jungen Eltern wohnten zusammen mit Erikas Mutter und Oma auf dem Beuel in einem Haushalt. Die Familie ließ ein Badezimmer ins Haus einbauen. Vorher hatten sich alle Hausbewohner im Keller in der Waschküche, wo auch eine Badewanne stand, gewaschen. 1972 kam der Telefonanschluss ins Haus.

„Mein damaliger Mann wollte nicht, dass ich mit Kind wieder arbeiten gehe. Zu dieser Zeit wurde die Gesundheit meiner Oma schwächer, und so kümmerte ich mich um unseren Sohn, die Großmutter und den Haushalt. In den letzten Lebensmonaten meiner Oma kam die Gemeindeschwester ins Haus und unterstützte mich bei der Pflege. 1972 machte ich meinen Führerschein und war endlich unabhängig. Ich konnte meinen Sohn zum Kindergarten nach Stromberg bringen.

Um Abwechslung in den Alltag zu bringen, kaufte Mama mir eine Strickmaschine. Wir hatten zuhause einen großen Wollvorrat, da Mama immer wieder Wolle von Schoeller günstig kaufen konnte. Ich brachte mir die Bedienung der Strickmaschine selbst bei und nach kurzer Zeit konnte ich Kleider, Röcke, Pullover oder Hosenanzüge maschinell mit unterschiedlichen Mustern stricken. Erst strickte ich für den Eigenbedarf und bekam schnell viele Aufträge aus der Umgebung, die ich gar nicht alle erledigen konnte.


1974, Beispiel Monatsverdienst durch die Strickmaschine


Erikas Sohn mit maschinengestricktem Pullover

Ich weiß noch, wie ich einmal früh morgens begann, mit glitzernder Wolle an der Maschine einen weißen Lurex-Hosenanzug zu stricken. Am Abend war er komplett fertig und wir fuhren am selben Abend mit Freunden nach Köln zu einer Karnevalssitzung im Kölner Börsensaal.“

Als Erika 27 Jahre alt war, ging ihre Mutter Hedwig in Rente und übernahm die Versorgung ihres Enkels, der die Grundschule in Leuscheid besuchte. Erika fand bei der Gemeinde Windeck eine Stelle in der Verwaltung, wo sie bis zum Rentenalter arbeitete. 1979 wurde Erikas zweiter Sohn geboren. Beide Söhne sind Urenkel von Gerhard und Wilhelmine Hundhausen. Der ältere Sohn wohnt heute in Leuscheid und der jüngere in Werfen auf dem Beuel.

Fotos 2 bis 6: Familienarchiv Engelhardt

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Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570