Hanna Himmeröder erzählt Empfehlung

Text | Personen, Betriebe | Samstag, 01 Juni 1929

Salzheringe aus dem Fass und Qualitätswäsche - Hanna Himmeröder erzählt

aufgeschrieben von Susanne Lock


Foto: Sascha Loss

Johanna Himmeröder ist zu ihrer morgendlichen Wanderrunde um das Dorf aufgebrochen und schaut mich offen und gut gelaunt an, als ich sie frage, ob ich aus ihrem Leben berichten darf. Denn schließlich ist sie im ganzen Dorf bekannt als Hanna, die kleine Person, die Tag für Tag, oft erkennbar an einer gelben Warnweste und einer neonorangenen Mütze mit einem Wanderstock in der Hand um unser Dorf Werfen spaziert und an den Nachmittagen auch durch Leuscheid und Alsen wandert. Ihr tägliches Laufpensum beträgt bis 10 Kilometer. Sie wird häufig angesprochen und verbreitet in jedem Gespräch gute Laune. Diese wackere Dame ist 93 Jahre alt und hat mit ihrem Mann Heinrich Himmeröder über 35 Jahre das Einzelhandelsgeschäft in Werfen geführt.

„Ich bin auf der Schneppe geboren und war das dritte von vier Kindern der Familie Stommel. Wir hatten Landwirtschaft mit zwei bis drei Kühen, einem Schwein, Hühnern, Wiesen, Feldern mit Kartoffeln, Runkeln und Futtergetreide.“
Hannas Eltern konnten die Familie mit der kleinen Landwirtschaft ernähren, ihr Vater verdiente als Elektriker zusätzliches Geld.

„Unser Zuhause war dank meiner Mutter voller Liebe, auch wenn es Zeiten mit sehr wenig Geld gab. Der Vater hatte schweres Rheuma und lag oft mit Schmerzen im Bett und konnte manchmal über Wochen nicht arbeiten. Ich weiß noch, wie meine Mutter am Ende des Monats das Geld im Portemonnaie zählte.“

„Wurden die Kartoffeln geerntet, halfen wir Kinder beim Auflesen und auch beim Ausmachen der Rüben waren wir dabei. Bei der Arbeit der Heuernte mussten alle mit ran. Oft wurde ich allein mit den Kühen zu entfernteren Weiden geschickt, wo sie sich satt fraßen. Zum Hüten blieb ich den ganzen Tag dort.“

Die Volksschule befand sich im kleinen Ort Schneppe und wurde auch von den Kindern aus Werfen, Werfermühle, Alsen und Oberalsen besucht.


Foto: Archiv Familie Himmeröder

„Ich bin sehr gerne in die Schule gegangen und konnte gut rechnen und auswendig lernen. Der Lehrer Lehnhardt schickte Kinder, die nicht mitkamen, aus dem Klassenzimmer und gab mir den Auftrag, mit ihnen zu üben.“ Nach acht Schuljahren ging Johanna zu ihrem Onkel nach Michelstadt im Odenwald, der einem Kiosk am Bahnhof betrieb.

„Ich war 14 Jahre alt und hatte Heimweh, deshalb kehrte ich bald wieder nach Hause zurück. Zum Glück konnte ich eine Arbeitsstelle bei der „Kammgarn“ (Schoellersche Kammgarnspinnerei) in Eitorf bekommen und arbeitete sechs Jahre lang mit anderen Mädchen und Frauen an einer Spinnmaschine. Nach der Arbeit blieb ich über Nacht im Mädchenheim von Schoeller und ging nur zum Wochenende nach Hause.“

Das Ende des zweiten Weltkrieges ist Hanna noch gut in Erinnerung.

„Im letzten Kriegsjahr flogen englische Flugzeuge auch über unsere Dörfer. Die Wehrmacht hatte in unserer Scheune Munition gelagert, was gefährlich war. Einmal hütete ich unsere Kühe auf der Wiese am Waldrand, als Flugzeuge Bomben abwarfen und ich mich noch schnell in den Wald retten konnte. Die Mutter meiner Freundin Helga aus Werfen lief während eines Fliegeralarms nach Hause und wurde unterwegs tödlich von einem Bombensplitter getroffen. Alle wünschten sich den Frieden herbei, es würde schon irgendwie weitergehen.“

Als der junge Heinrich Himmeröder aus Werfen um sie freite, versuchte ein alter Mann aus Werfen, sie davon abzubringen.

„Mädchen, überleg es dir gut, den kleen Heinrich zu heiraten: Zwei aahl Lück, Kühe und der Laden sind viel Arbeit, wollte er mich warnen. Er hat mich aber nicht davon abgebracht, den Heinrich zu heiraten“.

1954 feierten Heinrich Himmeröder und Johanna Hochzeit und die 25jährige musste sich in der neuen Familie in neuer Umgebung einfinden. Der Laden befand sich an gleicher Stelle wie heute, allerdings in einem viel kleineren Fachwerkhaus, in dem auch die Familie einschließlich der Kühe wohnte.

„Die Kühe versorgten Heinrich und der Schwiegervater, die Schwiegermutter war krank und ich sollte meine Aufgabe bei meinem Mann im Geschäft finden. Ich war nicht gewohnt, mit den Kunden umzugehen, anfangs war ich noch sehr schüchtern. Viele Leute in Werfen hielten noch Kühe und so verkauften wir im kleinen Laden auch Eimer, Petroleum, Nägel und Schlöpen (Metallschlaufen).“

Ein Jahr später wurde Tochter Christel geboren und Heinrich und Johanna schmiedeten Zukunftspläne. Und 1961 begann die Zukunft: Das Haus und der Laden wurden umgebaut und deutlich vergrößert. Johanna machte den Autoführerschein, Heinrich Himmeröder suchte sich bei der Post eine Anstellung als Zusteller und die Kühe wurden gegen den Widerstand des alten Vaters abgeschafft.

„1963 war alles fertig und schön. Mit dem großen neuen Laden hatten wir uns der Einzelhandelskette Himmelreich angeschlossen, die uns regelmäßig mit Lebensmitteln, auch Frischwaren, belieferte.


Foto: Archiv Familie Himmeröder

Mit dem Auto konnte ich beim Lebensmittelgroßhandel Limbach in Eitorf zusätzliche Waren für den Laden besorgen. Brot und Gebäck lieferte der Bäcker Meier aus Stromberg, Wurstwaren die Metzgerei Hessel aus Herchen, von Brüggelmann aus Köln bekam ich beste Qualitätsbettwäsche. In der Metro besorgten wir Strümpfe und Textilien für die Einrichtung. Eine Spezialität des Ladens waren meine selbst eingelegten Salzheringe aus dem Fass“.

Aber das war noch nicht alles. Im Ladenlokal befand sich der öffentliche Fernsprecher für die Werfener und in einem kleinen separaten Raum die Rentenauszahlungsstelle. Zwischen dem Laden und der nebenliegenden Küche pendelte Johanna Himmeröder ständig hin und her.

„Ich frage mich manchmal, wie ich das alles geschafft habe. Mein Sohn kam 13 Jahre nach seiner Schwester zur Welt. Für die Schwiegereltern und die eigene Familie habe ich vormittags gekocht, während Kundschaft im Laden bedient werden wollte. Nachmittags war mein Mann im Laden.Mir hat der Beruf sehr viel Spaß gemacht. Ich konnte mit so vielen Menschen reden und kannte nachher jede Person in Werfen.“

1969 bauten Himmeröders das Ladenlokal in einen modernen Selbstbedienungsladen um.


Foto: Archiv Familie Himmeröder

Zur Kundschaft gehörten auch Leute aus Schneppe und Alsen und Heinrich Himmeröder belieferte als Postbote in seinem Zustellbezirk Hoppengarten manch einen Postempfänger mit bestellten Waren aus dem Werfener Laden.

„Es ging alles gut, weil die ganze Familie zusammenhielt. Meine Schwester kam als Vertretung, wenn wir mit den Kindern in Urlaub fuhren. Dank der Hilfe meiner Tochter war die Buchhaltung immer tipptopp.“

1989 starb Heinrich Himmeröder mit siebzig Jahren, nachdem er mehrere Monate erkrankt an den Rollstuhl gefesselt war. Johanna und ihre Kinder berieten, wie es weitergehen sollte und schließlich wurde der Laden im selben Jahr geschlossen.

„Ich war erst 61 Jahre alt und konnte meine Hände noch nicht in den Schoß legen. Der Laden blieb erst einmal leer und im großen Haus richtete ich eine Wohnung zum Vermieten ein. Später baute mein Enkel den Laden zu einer Wohnung für sich um.“

Mit der Zeit entwickelte sie enge Freundschaften, fuhr in Urlaub und ging immer wieder auf Wanderschaft. Mittlerweile wohnen die Tochter gegenüber und der Sohn im selben Haus. Sie wird von ihren Kindern umsorgt und nutzt die tägliche freie Zeit zum Laufen.

„Morgens gehe ich die kleine Runde um das Dorf und dann steht ein leckeres Mittagessen von meiner Tochter oder der Schwiegertochter auf meinem Küchentisch. Wenn ich nach dem Mittagessen aufwache, denke ich

Hinaus in die Ferne
Mit Butterbrot und Speck
das esse ich so gerne
das keiner nimmt mir weg
und wer das tut
den schlag ich auf die Nase
den schlag ich auf den Hut
bis dass die Nase blut“

Gedichte mit einer Prise Humor kennt Hanna viele und die trägt sie jedem, der mit ihr ins Gespräch kommt, vor, was häufig zu beidseitigem Schmunzeln und Lachen führt. Nachmittags wandert sie die große Runde, meistens nach Leuscheid zum Friedhof und über Alsen und Schneppe zurück. Manchmal macht sie sich auf in den Wald und läuft viele Kilometer über den Sieghöhenweg.

„Wenn der Herrgott mich einlädt, würde ich ihm sagen: Ich brauch noch nicht kommen, ich lebe jetzt schon im Paradies. Wie liebevoll meine Kinder auf mich aufpassen und wir herrlich schön unsere Welt ist, da staune ich immer wieder.“

„Der Wald ist wie eine Kirche
Drum gehe nur mit Andacht rein
Da singen Vögel frohe Lieder
Mit deinem Gott bist du allein.“


Foto: Sascha Loss

 

 

 

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Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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