Die alten Schmiedemeister von Sieg

Text | Dorfgeschichten, Personen, Betriebe | Freitag, 01 März 2002

Die alten Schmiedemeister von Sieg

von Sylvia Schmidt

erschienen in NEWS – das Magazin, März 2002

Der letzte Schmied von Sieg, Wilhelm Krämer (89), genannt Jüssels Willi junior, hat in jahrelanger liebevoller Kleinarbeit hunderte von Originaldokumenten gesammelt und geordnet. In der fünften Generation übernahm er einst das Schmiedehandwerk von den Vorvätern. Im Gespräch lässt Willi Krämer die alten Geschichten lebendig werden, und im Gegenzug halten ihn die alten Geschichten jung, man spürt seine tiefe Verwurzelung mit der Heimaterde.

Der letzte Schmied von Sieg, Wilhelm Krämer

Die Wiege der Schmiede, im kleinen Örtchen Sieg bei Rosbach, legte der Urahn Johann Bertram Steinhauer. Sie bildete die Existenzgrundlage für die folgenden Generationen. Die Gunst der Tochter des Hauses hatte ihn nach Sieg geführt. Mit der Heirat im Jahre 1806 übernahm er mit dem Elternhaus der Ehefrau auch die Liegenschaften. Als Landwirt und gelernter Huf- und Wagenschmied richtete er eine Schmiede ein. Erhalten sind Kopien eines alten Schmiedekontenbuches in dem Zeitgeschichte geschrieben steht und ersichtlich wird, dass die Schmiede schnell, weit über die Grenzen, einen guten Ruf hatte. Einträge wie „1813 Nov.10 habe ich den Russen 51 Stück neuer Hufeisen aufgeschlagen p. stück 17 stüber “, dem Busch Drickes (Heinrich) machte er Kramben (Griffe) an den Dottenlath (Sarg), die Friesenhagener Tambouren quartierten sich gleich 26 Tage, bei Beköstigung, ein und ließen ihre Posaunen mit neuen Schlössern versehen, dem Schwellenbach machte er ein Tabakmesser, dem Herrn Bürgermeister eine Kuchenpfann, erzählen mehr als nur vom täglichen Brot.

Sein Schwiegersohn, ebenfalls Schmied von Beruf, passte gut in die Familie. Zur Erinnerung an die Militärzeit brachte er ein Tagebuch mit, in dem er künftig alle wichtigen familiären Begebenheiten, jedoch vornehmlich Rezepturen zur Behandlung von Krankheiten für Tier und Mensch festhielt. Ein Hufschmied benötigte eine gründliche Kenntnis der Anatomie der zu beschlagenden Tiere. Tierärzte waren noch unbekannt und Erfahrungen in der Tierheilkunde hatten einen hohen Stellenwert. Seine Nachfahren erweiterten die Eintragungen, und sie gehören bis heute zum Familienbesitz. Viele Rezepte stammen aus der Naturheilkunde, aber ebenso spielte der (Aber-?) Glaube eine große Rolle. Als Empfehlung bei Augenschwäche wurde beispielsweise angeraten, Krähenaugen um den Hals zu tragen.

Der Nachfolger war nicht nur Schmied, sondern auch der erste Trichinenbeschauer in der Gegend. Bekannt als Original, rief man ihn liebevoll „Jüssel“, eine Ableitung von seinem Vornamen Julius. Seine zweite Frau starb im Alter von 40 Jahren. Erhalten ist ein ergreifender Abschiedsbrief von ihrer Schwester. Sie schrieb, „...so ist solch ein Krankheitszustand, wie er Dir vom Lieben Gott auferlegt ist, eine viel größere Erinnerung, dass wir hier keine bleibende Stadt haben, sondern die Zukünftige suchen müssen“. „...dann können wir jeder Krankheitstücke und Schmerz auch voll entgegen gehen,“ „ ...all die Leiden dieser Zeit, sind nicht werth der Herrlichkeit.“ Später übernahm seine dritte Frau einen 10-Personen-Haushalt. Das Leben der Frauen damals war hart und endete häufig früh.

Mit jeder neuen Schmiede-Generation wurden die Fertigkeiten erweitert. So übernahm Willi Krämer nicht nur die Popularität des Vaters und den Namen „Jüssel“, er durfte sich zum Wagenschmied auch orthopädischer Hufbeschlagmeister nennen. Wie der erste Schmied, so zogen auch seine Nachfolger manchmal jahrelang, in den Krieg. Auguste, die Gattin, stand, ihren Vorgängerinnen gleich, in den Jahren 1914 – 1918 vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Neben ihrer täglichen schweren Arbeit und den vielen Kindern, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Mann im Haus ersetzen. Sie erlebten zwei Kriege, verloren einen Sohn und die wirtschaftlichen Zeiten waren schwierig. Ein tiefer Glaube prägte die Menschen und half ihnen die vielen Schicksalsschläge anzunehmen ohne zu verbittern.

Die letzten Schmiedemeister einer langen Ahnenfolge, die Brüder Willi und Emil betrieben die Schmiede bis zum Jahr 1955. Die rasante technische Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg machte auch vor dem alten Handwerk keinen Halt, und Jüssels Willi junior nahm eine Anstellung als Industriemeister in einer Rosbacher Fabrik an. Der Standort hatte den Vorteil, dass er noch einige Jahre nebenberuflich Pferdehufe beschlagen konnte, und der Übergang ein erträgliches Maß annahm.

Ein altes Sprichwort sagt: „Was du ererbt hast von den Vätern, erwirb es, um es zu bewahren!“ Willi Krämer (Jüssels Willi junior) hat nie vergessen, woher er kam und sorgte dafür, dass ein Schatz, das Leben unserer Vorfahren, nicht verloren geht. Die Schmiedewerkstatt, Hufeisen für jeden Zweck und viele Dokumente sind im Heimatmuseum in Altwindeck zu besichtigen.

 

Schmiedegasse
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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