Oben im Hof blühte die uralte Linde

Text | Dorfgeschichten, Personen | Sonntag, 01 Februar 1920

Oben im Hof blühte die uralte Linde

von Margarethe Katharina Schumacher geb. Schneider (01.02.1920 bis 21.01.2009)

In meinen Kindheits- und Jugendjahren, also in den zwanziger und dreißiger Jahren bis in den Krieg hinein, war in Schladern ein reges wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben. Da war die Fabrik Elmores, Kupferwerk mit 360 Beschäftigten. Eine davon war ich selbst als Stenotypistin. Diese Fabrik gab dem Ort viel Leben und Bedeutung. Damals war 1. Direktor Hermann Weeber, 2. Direktor Herr Wesputat, (der) Betriebsleiter Forstner, ein Bayer. Unten an der Sieg standen zwei schöne Villen und drei Doppelhäuser für die Belegschaft. In der Villa gleich am Eingang zur Fabrik waren die Büros. Elmores gab Ausbildungsplätze für Handwerker, Büro und Labor usw. Dann die Handwagenfabrik Langen, sie hatte wohl dreißig Beschäftigte, stellte außer Handwagen die schönen Holzschlitten „Davos“ her, außerdem Fuhrwagen für zwei Zugtiere, auch unser schöner „Kuhwagen“ war dort entstanden. Dann die Kupferschmiede Fuhrmann im Lehmberg, Ausbildungsbetrieb zum Kupferschmied. Fabrik Krause im Lehmberg, Heizungsbau, und die Schmiede Kaiser, ebenfalls im Lehmberg. In dem ehemaligen Eisenwerk gab es die Machetenfabrik Schmidt und die Apfelkrautfabrik Klein (Verwandte von uns). Dann hatte den größten Teil vom Eisenwerk die Firma Höffer, die auch unserem Schladern viel Leben gab: Landesprodukte, Düngemittel, Futtermittel, Kohlen, Briketts, Leder usw. Eine wohlhabend gewordene Familie, ebenso wie Langen, aber zurückhaltend, Besitzer vom „Bergischen Hof“ und drei Häusern in der Hähn. Baugeschäft Poppel, Baumaterialien, Gipsdeckenfabrik, zwei Villen und zwei Häuser: Bauernhöfe. Die zwei jungen Familien waren gesellschaftlich engagiert, der „Alte“ war auch noch „oho“. Willi Peters mitten im Ort: „Peters Onkel Willi“, ein Lebensmittelgeschäft en gros, Weinhandlung, Waschmittel und ganz besonders die Kaffeerösterei. An den Tagen, an denen geröstet wurde, duftete der ganze Ort nach Kaffee. Der gute „Sigambriakaffee“: In dem Ein-Pfund-Paket lag obendrauf ein herrlich schmeckendes Sahnebonbon. Den Kaffee gab es in drei Qualitäten. Nicht zu vergessen das Tiefbaugeschäft Pickhardt, Pickhardts Onkel Willi. Mitten im Ort, die Grundstücke von Peters und Pickhardt stießen an der Rückseite aneinander; war ja alles Verwandtschaft. Dann gab es die Metzgerei Klein, das Haus hat mein Urgroßvater Heinrich erbaut. Klein, sehr nervös, war in dem wohlhabenden Ort reich geworden: „Reich sollen meine Kinder werden, aber sie sehen es nicht ein.“

An Bäckereien waren da Höffer neben dem Bergischen Hof. Und an der Ecke Siegtalstraße, sie steht ja heute noch, Bäckerei Lenz mit sehr gutem Brot und viel Kundschaft. Reich geworden, jedes Kind bekam ein schönes Haus. Da habe ich bald Schiffbauer vergessen, an der Hauptstraße, ein neues Haus. Auch ein Engros-Geschäft in Reinigungsmitteln, Papierwaren usw. Daneben Schlosserei, Autoreparatur und Tankstelle Gustav Jasser. Klempnerei usw., Fahrräder und Reparatur Gustav Rödder, auch an der Hauptstraße.


Papa mit Rödders Gustav unten in der Wiese in Schladern

Lebensmittelläden gab es vier, davon zwei mit Textilien, einer mit Drogerie, einer hauptsächlich Obst und Gemüse. Kannegießer hat ganz klein nur mit Obst angefangen. Abresch, Vogel und Kleinjohann-Langen, der auch mit einfachem Porzellan und Textilien. Schreinereien gab es zwei: Klüser und Kolb. Schuster hatten wir drei: Dörner, Fuchs und Eschmann. Eschmann hatte auch an der Hauptstraße ein Schuhgeschäft. Da habe ich Krämer vergessen, erst unten an der Sieg, dann an der Hauptstraße, ein großes Lebensmittel- und Textilgeschäft. Schneidermeister Busch unten in der „Deutsch-Ecke“ und Eduard Schneider oben im Hof, später Paul Moritz. Dann gab es noch das Anstreichergeschäft Kaesberg, auch im „Deutschen Eck.“ Friseur Kremer, genannt „kleiner Cohn“, neben Krämer Textilien und Lebensmittel. Während ich das schreibe, steht alles lebendig vor mir. Der Männergesangverein mit seinen Festen und Bällen, der Kriegerverein: Beide Vereine hatten in den 30er Jahren ein großes Fest im Zelt auf der großen Wiese neben dem Elmores-Versand. Einen Kleinkaliber-Schützenverein gab es, mein Bruder Wilhelm war Mitglied, mit Schießstand im „Heedchensberg“. Die Firma Elmores hatte unten an der Sieg einen Tennisplatz errichtet. Dazu gab es auch einen Club. Daneben war ein Badehäuschen, das ruhte wegen der Überschwemmungen auf Fässern. Es wurde damals noch viel in der Sieg geschwommen und Boot gefahren. Auch mein Bruder Friedrich und sein Freund Heinrich Stein hatten ein schönes gebaut. An manchen warmen Sommersonntagen und auch in den Ferien war an dem Badeplatz am Wasserfall ein Betrieb wie an einem Strand an der Adria. Da wurde geschwommen, sonnengebadet, mit dem Kahn gefahren und flaniert. Man stand auf der Brücke und sah dem Treiben zu. Kein Autoverkehr störte die Idylle. Es war ein liebenswürdiger Ort, an dem man alles hatte, was man zum Leben brauchte, dazu kam noch die wunderschöne Umgebung mit Feldern, Wiesen und Wäldern. Diese liebenswürdige Ortschaft ist Erinnerung. Ärzte gab es damals keine in Schladern, auch keine Apotheke, wir waren alle gesund. Aber eine katholische Kirche gab es schon: die Elisabeth-Kirche.

 


Die Katholische Kirche. Foto: Familie Höffer

Die evangelische kam erst hinzu, als ich schon in Herchen verheiratet war. Sie ist eine Stiftung von Onkel Willi Peters und aus seiner soliden Scheune erbaut, mit Grundstück dazu. Aus dem alten eichenen Scheunentor ist die Kirchentüre geschreinert. An Gastwirtschaften waren da: Gasthof Höffer (Bergischer Hof) mit großem und kleinem Saal, die Bahnhofswirtschaft, die Gastwirtschaft Klein mit Metzgerei und Gasthof Müller, „Tante Anna“, mit Kegelbahn, auch an der Waldbrölerstraße. Sie alle lebten und arbeiteten in dem damals rund 500-Seelen-Ort, kamen gut zurecht, wurden zum Teil wohlhabend. Die Volksbank war an der Waldbrölerstraße, neben der Wirtschaft Müller: ein winziges Büro, darin ein großer schwarzer Geldschrank, so die Erinnerung. Vergessen darf ich nicht zwei Schneidermeisterinnen: Fräulein Simon und meine Schwester Setta Euler, geb. Schneider.

 


Auf Grete Schneiders Konfirmation: v.li: Grete, Setta, Willi, Selma und Werner Adlung


Zum Schluss die rege Gärtnerei Becker, auch mitten im Ort. Sie gehörte erst meinem Onkel Martin (Schneider), der im 1. Weltkrieg fiel. Alle diese Betriebe erfüllten den Ort mit Betriebsamkeit und Leben und Treiben, Nachbarschaft; große und kleine Geschichten gab es ohne Ende. Die beiden Volksschulen, evangelische und katholische, standen nebeneinander mitten im Ort. Mein evangelischer Lehrer war Karl Walter und die katholischen Kinder hatten ihren Lehrer Schier, er kam von Zell an der Mosel. Der Bahnhofsvorsteher hieß Haas und der Leiter vom Güterbahnhof Kratzenberg. Güter gab es ja damals in Schladern genug zu verladen, dazu kamen noch die Grauwackesteine vom Steinbruch in der Westert. Zum gesellschaftlichen Leben trugen ganz groß die Vereine bei. Da war der Spiel- und Turnverein. Oben zum Sportplatz strömte zu den Fußballspielen Alt und Jung herbei. Dann gab es jedes Jahr ein Sportfest mit Festzug und Ball bei Höffers. Am zweiten Weihnachtstag war ebenfalls bei Höffers Schauturnen, wir Mädchen vom Turnverein trugen Volkstänze vor. Ich erinnere mich an den „Holzschuhtanz“ aus „Zar und Zimmermann“ und an einen „Schneeflockentanz“, die sehr beklatscht wurden. Es gab Kinderbescherung mit Nikolaus und abends war Ball. Das war so ein Höhepunkt im Jahr.


Ilse und Einquartierung am Wasserfall

Zu Hause im ältesten Dorfteil Schladerns: „Im oberen Hof“. Irgendwann muss ich anfangen, seit ich allein bin, geht mir so viel im Kopf herum. Fange ich mit „Owwen im Hoff“ an. Da standen vier Häuser, das erste aus Ziegelsteinen erbaut, davor eine Fachwerkscheune, auf der Ecke ein „Backes“, alles hinter einer großen Weißdornhecke und einer hohen Tanne (Haus der Familie Adlung). Am Backhaus ein Emailleschild „Privatweg – Zutritt auf eigene Gefahr“. Man ging weiter, an der Scheune vorbei und kam linker Hand wieder an eine Buchenhecke, und da begann „unser Revier". Etwas rechts begann das „Wegelchen“, das zum ursprünglichen Stammhaus der „Ühmen“ ging. Links gegenüber lag unser altes Haus, in dem ich 1920 unten in der Stube geboren wurde als fünftes und jüngstes Kind von Wilhelm und Emilie Schneider, ein Fachwerkbau, etwa 1820 erbaut mit angebauter Scheune und Stall.


Aufnahme 1. WK in Vaters Urlaub
Vater Wilhelm Schneider geb. 15.11.1877 in Langenberg. Emilie, geb. Wengenroth, 20.8.1880 im Oberen Hof
rechts Wilhelm, Mielchen, Setta an den Vater gelehnt, auf seinem Knie Friedrich

Wilhelm geb. 2.2.1904
Heirat – 2.2.1906
Emilie 15.12.1908
Lisette 19.4.1910
Friederich 14.1.1913
Margaretha Katharina 1.2.1920

Man kam durch die Haustür in eine große, mit graublauen Platten gepflasterte Küche, ringsherum an den Wänden gekachelt. Rechts ging die Eichentreppe mit dickem Geländer nach oben, daneben die Tür zum Futterraum. Geradeaus in der Küche zwei Türen: die rechte zum Keller, die andere zur großen Stube mit drei Wandschränken an der Küchenseite und zwei Fenstern an den Außenseiten. Die Treppe hinauf ein kleiner Gang. Links über der Küche das Schlafzimmer von uns drei Mädchen. Über der Stube das große Elternschlafzimmer. Rechts die vordere Kammer, von welcher es zur Speichertüre und Treppe vom großen Speicher ging. Der Speicher hatte im Giebel einen Doppelladen. Darüber hing ein Haken für die Rolle, da hinein wurde vom Wagen Heu abgeladen. Der Speicher hatte riesige, glatte Eichendielen. Die vordere Kammer war das Schlafzimmer meiner beiden Brüder. Linkerhand ging es durch die Tür zur hinteren Kammer, die über dem Kuhstall lag. Sie war die Vorratskammer für Mehl, Speck, Schinken, Würste, Eingemachtes, Apfelkraut, Salz, Zucker, Äpfel, auch Korn und Weizen, wenn auf dem Speicher alles voll war. Da hingen an leichten Stricken von der Decke die blanken Stangen, an denen das Geräucherte aufgehängt wurde. Der Raum hatte zwei Fenster, von denen die Fliegendrahteinsätze nur im strengsten Frost genommen wurden. Einmal, im Jahr 1943/44 muss es gewesen sein, da war ein schrecklicher Befall von Kornkäfern, der auch unseren Speck und die Räucherwürste nicht verschonte. Da musste ich alles ausräuchern und nur mit Kalkbrühe tünchen. Aber ich bin Herr darüber geworden. Wunde Hände, was soll es, die Lebensmittel mussten wir behalten. Es waren, trotz Krieg, wunderschöne Jahre mit meinen Eltern. Rechts vom Haus, über den Weg: der Wagenschuppen. Der Wagen war von der Firma Langen eigens für unser Kühegespann gebaut worden. In dem Schuppen hatten auch unsere Hühner bei Wind und Regen Unterschlupf. In der Futterküche waren der große Waschkessel, das Räucherhaus, ein Schraubstock, ein Hauklotz, Kleinholz, die aufgeschichteten Briketts, Zuckerrübenschnitzel für die Kühe, Roggenschrot und Mehl für die Schweine, ein Wasserhahn, Eimer, Regale für die Stallkleidung, die Mistgabel und der Melkstuhl. Rechts ging eine Türe und ein Fenster nach außen, geradeaus die Tür zur Tenne und linker Hand eine in den Kuhstall. In dem waren drei schöne Krippen für unsere drei Kühe und links ein Platz für ein Rind. Die Scheune war der Länge nach geteilt, die Tenne lehmgestampft. An den Wänden hingen die Dreschflegel, die Sensen und die „Säte“, eine geflochtene Wanne (für das Saatgut). An den Balken der Trennwand waren Steigeisen, an denen man nach oben kletterte, um das Heu zu schichten oder es im Winter zur Fütterung der Kühe hinunter zu werfen. Im Herbst war die „Schleze“ (Schließe) über der Tenne fertig. Dann waren die dicken Stangen, die über der Tenne lagen, dick mit Strohbunden bedeckt, und nur die Öffnung frei um Stroh und Heu hinunter zu werfen. Von der „Schleze“ habe ich sogar noch hier in Herchen geträumt, dass ich hindurch gefallen und auf die Tenne gefallen sei. Die Scheune hatte ein großes Doppelfenster und in diesem war eine kleine Türe. Mit dem Kuhwagen fuhr man in die Scheune hinein. Das war lustig für mich, wenn ich auf dem hochbeladenen Wagen lag. Auf der anderen Seite der Scheune, aus der man aus dem Kuhstall kam, waren der Strohschneider, Stroh, das aufgeschichtete Brennholz und der Schweinestall. Dann ging man durch eine Türe ins Freie, geradewegs auf den „Schweinepark“ zu. Dahinter lag ein schöner Siefen mit einem kleinen Fließ (das „Börnchen“), an dem Vergissmeinnicht wuchsen. Der Hang war mit Obstbäumen bestanden. Zwei Morgen (1 Morgen = 2500 qm) waren es um das Haus, eine Wiese mit guten Obstbäumen, darin zwei Gärten. Der kleine Garten mit Beerensträuchern, Blumen, dem ganz frühen Gemüse und den Runkelpflanzen (vorgezogene Setzlinge der Zuckerrüben). Horst hatte 1946 die schönste Tabakplantage darin. Der große Garten war eigentlich nur für Gemüse und Frühkartoffeln. In den alten Schlotterapfelbäumen (Frühäpfel) hingen Starenkästen, von Friedrich (Bruder) gezimmert. Es war alles schön und geordnet, im Rhythmus der Jahreszeiten, und wir Kinder arbeiteten alle mit daran. Der untere Teil unseres Grundstücks wurde wieder von einer Buchenhecke begrenzt. Zwischen der Scheune und über dem Weg zum Nachbarhaus unseres Verwandten, hart an dem kleinen Fließ, stand die uralte, riesige Linde - vier Kinder konnten sie nicht umarmen - sie prägte den ganzen „Hoff“ und war, auch kahl im Winter, unbeschreiblich schön. Wenn im März im noch kahlen Wipfel die Amsel sang: unvergesslich. Im Frühsommer, wenn sie blühte und die Bienen summten: einmalig. Um die Zeit verströmte auch der Holunder, der bei uns und den Nachbarn zur Freude der Hühner an den Hängen und selbst in den Hecken stand, seinen Duft. Das alles ist über fünfzig Jahre her, die Linde ist abgeholzt, weil sie angeblich eine Gefahr wurde, der Hähnensiefen eingeebnet und der Rasenmäher rattert.

Es kommt mir so in den Sinn. Ein Verwandter von uns in Schladern, Onkel Willi Peters, ein Halbbruder von Onkel Emil Schneider, hatte in Schladern ein Engrosgeschäft in Lebensmitteln, Waschmitteln und Spirituosen. Dabei das Feinste: eine Kaffeerösterei. Den wunderbaren „Sigambria Kaffee“. Wenn geröstet wurde, dann roch der ganze Ort, bis hinauf in unseren Hof, nach Bohnenkaffee. Es gab den Sigambriakaffee in verschiedenen Qualitäten und Packungen: gold, rot und blau, alles schöne Frischhalte-Doppelpackungen, verziert. Es gab 1 Pfund, ½ Pfund und ¼ Pfund Pakete. Obenauf lag in den 1 Pfund Packungen ein wunderbar nach Kaffee schmeckendes Rahmbonbon. Ich war selig, wenn Mama ein Paket aufmachte und ich das Klümpchen (Bonbon) bekam. Aber das gab es nicht oft.

Täglich gab es für die große Familie, sieben Personen, „Kathreiners Malzkaffee“. Meine Eltern tranken nach dem Essen ab und an ein Köppchen (Tässchen) Bohnenkaffee. Für uns alle gab es welchen am Sonntagnachmittag, da gab es auch immer Kuchen oder Rosinenblatz mit Butter und Gelee. Um auf Onkel Willi Peters zurück zu kommen, er war, würde man heute sagen, sehr sozial eingestellt. Er beschäftigte in dem kleinen Betrieb zwei bis drei Büroangestellte, einen Lagerarbeiter, einen Fahrer für seinen Lastwagen und noch den Wilhelm Rödder aus Langenberg als Reisenden. Den „Hinkebein“ sehe ich noch auf seinem Motorrad. Neben dem großen Lagergebäude, dem Büro und der Rösterei war sein hübsches Privathaus, das bewohnte er mit seiner Haushälterin, Fräulein. Demmer und einem wunderschönen Schäferhund. Wenn Onkel Willi keine Zeit hatte, musste ein Büroangestellter den Hund ausführen bis hin zum Heedchens-Siefen, dort hatte er einen schönen Buchenwald als Vogelschutzgebiet mit Brut- und Futterkästen. Dort hatten wir auch einen Wald, daher stammen die Lärchen, aus denen uns der Schreinermeister Günther Nierstenhöfer in Herchen einige Möbel geschreinert hat. In strengen Wintern fuhr man zum Heedchens-Siefen mit dem Handschlitten „Davos“, darauf ein Futtersack und versorgte die Vögel zum Dank für ihre nützliche Tätigkeit im Sommer, er war einfach ein Paradies zu jeder Jahreszeit. Ich war als Kind und auch während meiner Berufszeit froh, wenn ich dorthin ging. Wir bekamen den Kaffee und den Weinbrand immer einen Groschen billiger. Dazu im Krieg - ich nahm ihm die Abrechnungen mit zum Kreis-Wirtschaftsamt (die Schreiberin arbeitete einige Jahre als Stenotypistin beim Landratsamt in Siegburg) - öfter ein Stück gute Seife. Kreisbaumeister Luthard und Onkel Willi kannten sich gut wegen der Vögel. Aber mich zogen besonders seine schönen Katzen an, die die Lagerräume und auch das Haus bewohnten. Einmal, so erinnere ich mich, war im warmen Röstraum in einer großen Schublade ein süßer Wurf von vier Katzenjungen, damit habe ich lange spielen dürfen. Im Hintergrund Rahmbonbons und ein „Fips und Coco“-Heftchen. Damals gab es nicht viel zu lesen für Kinder. Um die hohen Tannen zwischen Privathaus und Lager waren Drahtringe gezogen; so konnten die Katzen nicht an die Nistkästen, die hoch oben hingen. Für alle sorgte er, auch für den Ort und den Friedhof und nun liegt sein Grab ungepflegt und verlassen. Die Erbin hat sich nicht lange darum gekümmert, auch das Geschäft nicht gehalten und die riesigen Buchen im Heedchenssiefen abholzen lassen. Der Kaffee war auch ein willkommenes Mitbringsel. In Windeck-Dall (gemeint: Altwindeck) wohnte eine alte Jungfer, Meis Annemariechen, eine entfernte Verwandte von Schneiders-Seite. Mama besuchte dieselbe und nahm mich als Kind mit. Wir hatten ihr ¼ Pfund Sigambria-Kaffee und ¼ Pfund Würfelzucker mitgebracht. Ein zierliches Persönchen war Annemariechen: Wespentaille und hohes Stimmchen. Ihr Brot hatte sie sich als Weißnäherin (Näherin von Unterwäsche) verdient. Ich war damals höchstens sechs Jahre alt und sehr beeindruckt von den bunten Heiligenfiguren, die unter Glassturz auf der Kommode standen. Annemariechen sah mein großes Interesse an den bunten Figuren und vertröstete mich: „Jo, jo, wenn ich jestorben sin, dann sullst du se han.“ Damals wurde man nicht so abgelenkt wie jetzt die Kinder überflutet werden. Solche Besuche prägten sich tief ein und wurden zu Erfahrungen.

Aber nochmals Willi Peters: Unten im Hof hatte er von seiner Mutter, Seite Werner, eine stabile Scheune und einen schönen Gemüsegarten. Aus der Scheune ist die evangelische Kirche geworden und aus dem Eichen-Scheunentor die Kirchentüre, eine Schenkung von Onkel Willi, welche die Zeiten überdauert hat. In der Nacht von dem 5. auf den 6. April 1945 kamen die Amerikaner von der Elmores Fabrik und demselben Versand her über die Sieg. Es waren auch schlimme Burschen unter den Soldaten. Onkel Willi hatte seine Münzsammlung und auch seine Spirituosen nicht versteckt. Die Münzsammlung wurde gestohlen, die Weine und Schnäpse gesoffen, danach machten die Soldaten schlimme Ausschreitungen. Auch bei dem katholischen Pater Linnartz, der meinen Vater am 7. April 1945 abends beerdigte. Der Pater war 25 Jahre als Missionar in Südamerika gewesen. Er sagte mir, im Urwald hätte er keine so schlimme Nacht erlebt wie die vergangene. Er hatte eine junge hübsche Nichte, Flüchtling im Haus, und hatte sie beschützen müssen.

Noch eine Erinnerung. Wie ich schon erwähnte, war mein Vater bis Mai 1928 Fuhrmann bei Höffers in Schladern. Das war damals eine große, florierende Firma: Getreide, Futter- und Düngemittel, Kartoffeln, Kohlen, Brikett, dazu eine Schrotmühle für Futtergetreide. Immer standen Fuhrwerke bespannt mit Pferden, Ochsen oder Kühen an der Rampe oder der Waage. Dazu hatten die Höffers eine Gastwirtschaft mit großem und kleinem Saal, heute „Bergischer Hof“. Hinter und unter dem Saal war eine Remise und links davon unter dem alten Lager der Pferdestall. Darin stand das schwere, sehr gepflegte Kaltblutpferd, sein Name: Max. Später, als Papa längst Rentner war, fuhr er mit dem alten Wilhelm Höffer in die Mucher Gegend, um ein neues Pferd zu kaufen. Da wurden die schweren „Belgier“ gezüchtet. Mein Vater verstand etwas von Pferden. Sonntagmorgens ging er so um acht bis neun Uhr Max füttern und tränken. Manchmal ging ich mit. Das Pferd, es war lammfromm, wurde gestriegelt und gebürstet, die Hufe gereinigt und geschwärzt, frisches Streu gab es. Abends musste Papa nochmal kurz hin. Ich ging sonntagmorgens gerne mit, ich mochte die Stunde mit dem lieben Pferd. Einmal, erinnere ich mich, ging mein Vater mit mir beim Schuhgeschäft Eschmann vorbei und kaufte mir Lack-Spangenschuhe. Es war vor Ostern und da waren für ihn die hohen Winterschuhe für sonntags nicht mehr richtig. Einmal bekam Müllers Gastwirtschaft, „Tante Anna“, von mir eine kleine Katze. Gegenleistung: eine Tafel Schokolade. In den ersten Tagen besuchte ich noch das Kätzchen und musste zu meinem Kummer hören, dass es entlaufen sei. Es fand sich wieder im Pferdestall bei Papa und Max und so konnte ich es zur allgemeinen Erleichterung zu Müllers Tante Anna zurückbringen. „Katzen gucken“ ging ich auch zum Onkel Willi Peters, da gab es junge Katzen in einer großen Schublade in der Rösterei und für mich ein paar Sahnebonbons. Bei Frau Krause waren jede Menge junger Katzen, ein „Terri“-Hund und zur großen Freude des Dienstmädchens außer Kaninchen auch noch Ziegen. Krauses Haus und Fabrik waren am Lehmberg, der früheren Ziegelei, da konnte man auf einem Sitzbrett die feuchten Lehmhänge herrlich runterrutschen und danach zu Hause dafür „Schrüpp“ (heftige Ausschimpferei) kriegen. Angst hatte ich auch vor Schröders Gänsen, vor dem bitterbösen Gänserich, der mich als Fünfjährige einmal richtig angefallen hatte, bis Schröders Hedwig mich „errettet“ und ins Haus geholt hat. Papa wollte mir die Angst nehmen. Zu Höffers ging er immer über das „Schmale Örtchen“. Mit mir ging er einmal auch auf dem Nachhauseweg da entlang, Maiskörner in der Tasche für den bösen Gänserich. Da hatte man seine Ruhe.

Noch eine Erinnerung: Ich muss noch sehr klein, höchstens zwei bis drei Jahre alt gewesen sein und bestimmt war es ein Sonntagnachmittag, denn meine Mutter hatte ein schönes, langes, blaues Kleid aus feinem Wollstoff an. Mit einem Spitzeneinsatz und Stehbündchen, am Halsband die goldene Brosche: Anker, Kreuz und Herz mit den drei kleinen, grünen Steinen, die jetzt mir gehört. Die Sonne schien und auf dem Rain, der am Weg im Roth vorbeiführt, blühten viele Blumen, von denen ich immer wieder pflückte. Ich muss müde geworden sein, denn ich reckte die Ärmchen an meiner Mutter hoch und sie nahm mich auf ihren Arm. Später hatte ich den Rain besonders gern. In der Mitte stand ein schöner, wilder Rosenstrauch und es gab da wilde Erdbeeren, aber dickere als unten im Hähnensiefen unterhalb unseres Börnchens. Dazu all die Kräuter und Blumen, die man heutzutage gar nicht mehr sieht: Johanniskraut, Ehrenpreis, lila Ackerskabiose, Schafgarbe, Steinklee, Gundermann, Tormentill, Margeriten und an sonnigen Sommertagen zirpten dort die Grillen und flogen die Hummeln aus ihren Erdlöchern. An diesen Rain schloss sich ein Feld an, das wir nutzen: Hafer und Kartoffeln, im Herbst Stoppelrüben. Einmal haben die Wildschweine ganz schlimm in den Kartoffeln gehaust. Oberhalb des Ackers kam das „Driesch“, ein aufgegebener, nicht so fruchtbarer Acker, den sich der Ginster und viele Kräuter eroberten: Frauenmantel, Augentrost, Johanniskraut, Schafgarbe, Tausendgüldenkraut, die wilde Malve, weißer Klee, Margeriten, Kamille, Rainfarn und viele andere wilde Kräuter. Wenn dann noch der Ginster golden leuchtete, das war schon eine Pracht und für die Grasmücke ein Paradies. Dieses Stück Land gehörte erst meiner Tante Emilie (Hagedorn, geb. Schneider) und jetzt meinem Vetter Karl Graske*, der in Kehlheim an der Donau wohnt. Die große Wiesen-Bibernelle und andere, große, wunderbare Gräser, Kräuter und Lichtnelken, ein paar Margeriten dazwischen, wuchsen unten in der Wiese. Sie war so fruchtbar, jedes Frühjahr wurde sie von dem kleinen Fließ überschwemmt, das seinen Ursprung in Schneiders („Ühmen“) Börnchen hatte, dann durch den „Pohl“ in unseren Siefen floss und fortan versickerte. Manchmal, wenn die Wiese überschwemmt war, fror das Wasser zu Eis, und ich fuhr mit dem Schlitten darüber und sah durch das klare Eis das grüne Gras. Heute steht auf dieser und angrenzenden Wiesen die Bodenberg-Schule, und man wundert sich, dass der Bau an Feuchtigkeit leidet und saniert werden muss. Warum baut man nur in eine so feuchte, fruchtbare Senke? Kein Privatmann würde das tun. Oberhalb des Börnchens ist eine Quellmulde, daran schließt sich das Grundstück von Pickhardts an, der „Paradiesgarten“. Links davon unsere gut ein Hektar große Wiese „In der Hähn“, gehört jetzt Adalbert (Schneider). Karl Graskes Land (liegt) darüber, heißt „Im Roth“. * inzwischen verstorben

Ich erinnere mich als Kind oft zurück. An einem warmen, weichen Frühlingstag, höchstens vier bis fünf Jahre werde ich gewesen sein. In unserer Hainbuchenhecke blühten duftend die Veilchen. Friedrich (Bruder, sieben Jahre älter) und ich brachten unserem Vater, der mit dem schweren Belgier Max auf der „Deichhardt“ pflügte, den Kaffee. Friedrich den Henkelkorb mit der Kanne „Kathreiner“, der dicken Tasse und den Butterbroten mit geräucherter Bratwurst tragend.


Friedrich – lieber Bruder

Ich hatte ein Bündel Heu für Max und ein Stück Brot. So gingen wir frohgemut aufs Feld. Papa und Max waren froh über die Pause und Stärkung. Die Schollen in den Furchen waren braun glänzend und rochen so gut. Nachdem Tier und Mensch gestärkt waren, gingen wir beiden nach Hause, gruben Veilchen aus der Hecke und verpflanzten sie am Weg unter dem alten Schlotterapfelbaum. Ich war so von Herzen froh. Am nächsten Morgen war ich es nicht mehr so. Es war kühl und regnete, und die so liebevoll gepflanzten Veilchen hatten unsere Hühner ausgescharrt. An demselben Weg, der auch an unserem Elternhaus vorbeiführte, kam eines Tages Flor, der Mischlingshund von Löttgens unten aus dem Hof, nichtsahnend vorbeigelaufen. Unsere alte Katze hatte Junge. Blitzschnell saß die „Miez“ dem Flor auf dem Nacken, zerkratzte ihn und riss ihm ein Ohr auf. Bedauernder Kommentar von Heinrich, dem Herrn des Hundes: „Sie hett’em dat Uur un dat Uur jehauen.“ (Sie hat ihm das Ohr und das Ohr gehauen.) Flor jaulte sehr und ist nie wieder oben in den Hof gekommen. Nicht einmal auf Freiersfüßen zu Kleinholz Lottekes.

Jahre später, ich bin bestimmt schon neun Jahre alt gewesen, spielte ich mit anderen Mädchen im Stranghöhners Wald in der Hähn. Da waren dicke, schöne, lichte Buchen. Unten im Siefen floss der kleine Bach, der kam aus unserem Börnchen oben in der Hähn. Dem Rinnsal gingen wir durch dichteren Busch ein Stück hinauf nach und kamen an eine kleine Lichtung, dort wollten wir schön spielen. Aber, o Schreck, da lag mitten auf dem freien Stück ein Tierskelett, alle Knochen waren blank, die Zähne glänzten weiß und lange, borstige Haare lagen auch da. Nachdem der erste Schreck überwunden war, kam Stolz auf, dass wir ein „Wildschweinskelett“ gefunden hätten. Im Herbst, bei der Treibjagd angeschossen, würde sich das arme Tier hierhergeschleppt haben und einsam gestorben sein. So fabulierten wir, und ich nahm mir einige Zähne und Borsten als traurigen Beweis mit nach Hause. Dort trugen meine großen Brüder zur Klärung des Falles bei. Löttgens Flor war alt und krank geworden und daraufhin wurde er getötet. Man hatte dann den treuen Wächter einfach in den Wald gebracht und seine Besitzer hatten ihn nicht einmal begraben. Mir ging das alles sehr nahe; die Großen durften mich nicht verspotten und wie oft habe ich mir die Hände gewaschen!

Es war ein Frühsommer in den 30er Jahren an einem wunderschönen Nachmittag Oben im Hof. Die uralte, mächtige Linde blühte und erfüllte die Luft mit Blütenduft und Bienengesumm. In dem Siefen und in den Hecken stand weiß blühend und süß duftend der Holunder. Über allem lag Sommerglanz und Stille, die nur unterbrochen wurde von dem gleichmäßigen Klang, mit welchem mein Vater die Sensen für die bevorstehende Heuernte dengelte. Die Sensenbäume hingen an Haken an der Scheunenwand. So sehe ich meinen Vater vor der Futterkammertüre sitzen: Vor sich den Hauklotz mit dem Eisen darauf. Neben sich einen blaugrauen Steintopf, gefüllt mit Wasser, in das er ab und zu den Hammer tauchte, um dann weiter im gleichen Takt und mit viel Geduld all die Sensen zu dengeln. Sie mussten ja scharf sein, um das Gras fürs Heu zu mähen. Die Nickelbrille auf der Nase, prüfte mein Vater kritisch mit dem Daumen die Schneide der Sense, die gerade an der Reihe war. War sie richtig scharf, so wurde sie mit dem Sensenschlüssel am Sensenbaum befestigt und zu den anderen an die Wand gehängt. Die Kühe waren auf der nahen Weide. Ab und zu hörte man ein leises Muhen. Der Kuhstall stand weit offen. Die Schwalben, die in jedem Frühjahr zu unserer Freude wiederkamen, flogen zwitschernd ein und aus, um ihre Jungen zu füttern. All dies ist eine versunkene Welt. Es gibt dort keinen Lindenduft und kein Schwalbengezwitscher mehr. Auch die kleine Landwirtschaft mit all ihren Tieren ist längst verschwunden, wie auch die lieben Menschen, die dazu gehörten und allem einen Inhalt gaben. Nur die Erinnerung ist geblieben.

Von Schladern in die Umgebung Oben im Hof hatten wir es gar nicht weit zum Wald; so ist es auch heute noch. Der Wald fängt am Friedhof an und erstreckt sich weiter über den ganzen Bodenberg. Darin so schöne Bezeichnungen waren wie „Heedchensberg“, „Dämmhäuschen“, „Henkel“, „Griesen Siefen“ und „Schwarzen Siefen“ und „Bleikuhlendäll“. Jeder dieser Namen hatte seinen Klang und war eine Besonderheit, auch in Wald- oder Preiselbeeren. Vom langgestreckten und aufsteigenden Bodenberg ging sacht der Wald über in die Nutscheid, bis zur Bröl hin nur Wald. Im Krieg, da ich noch zu Hause lebte und berufstätig war, war es mir eine große Freude gleich zu jeder Jahreszeit, wenn ich sonntagnachmittags einen großen Rundgang von meinem Elternhaus aus machte: Den Aufstieg bis zu den „Fuhrmanns Dännen “ entlang der Bodenbergwiese nach Oberwindeck, dann weiter am „Wähnersch Over“ vorbei durch das Scheuerfeld und die „Hähn“ ging es nach Hause. Frische Luft gepumpt und für die neue Woche gerüstet. Damals brauchte man keine Angst zu haben. Da lagen die einsamen und liegen noch, alles gute vertraute Bekannte, die einsamen Höfe, mit Maschendraht eingezäunt wegen der Wildschweine. Man kam vor Höhnrath an ein großes Gattertor für die Fuhrwerke mit einer Art Treppe über den Zaun für die Menschen. Rechts und links flaches Feld. Da wohnten rechts in Höhnrath die Steckelbachs in ihrem Fachwerkhaus und ihrer kleinen, eigenen Landwirtschaft. Geradeaus ein Ziegelsteinhof, da wohnten die Pons, gute Bekannte. Es war ein Pachthof von Caminnecis auf Schloss Windeck, denen ja viele Höfe und die ganzen Waldungen der Nutscheid gehörten. Einmal zu Ostern, als ich mit meinen Eltern einen Spaziergang dorthin machte, schenkte mir Frau Pons ein himmelblaues Osterei. Am Dorfteich vorbei ging es links zu Hasenbachs Hof und dem Forsthaus, wo Förster Wulf und seine Familie wohnten, gegenüber wohnten Rötzels in einem schönen Fachwerkhaus. Alles gehörte Caminnecis, nur die Hasenbachs waren Eigentümer. Wo diese Häuser standen hieß es „Auf der Jucht“. Rechts ging es nach Hahnenbach und dann weiter auf die Westertstraße. In Hahnenbach wohnte der Waldarbeiter Hammer, seine Frau war eine ehemalige polnische Erntearbeiterin und sie hatten fünf Söhne. Wenn wir als Kinder müde und durstig aus den Waldbeerparadiesen dorthin kamen, gingen wir zur „Polonia“ Brunnenwasser trinken. Der Weg führte von Höhnrath am Ponshof vorbei weiter nach Kölschbach. Der Ort ist Wüstung geworden. Dort hatten Schmeiss ihren Pachthof. Bei „Schmeiss-Dicke“ kauften wir immer unseren Honig. Weiter ging es nach Ommeroth, dort wohnte damals die Familie Diez. Frau Diez war eine große Geflügelzüchterin und hatte schöne Rassehühner. Alles war mir bekannt und vertraut und hatte seinen ganz besonderen Zauber. Von dort führte der Weg langsam immer höher in den Wald zum „Galgenberg“, links zum „Hohen Wäldchen“, am Galgenberg und den drei Eichen vorbei hinunter nach Bladersbach und zum Bröltal. Diesen Weg, auch über die Nutscheid bis nach Wilhelmshöhe, bin ich öfter gegangen. Zweimal immer weiter von Bladersbach über die Bröl bis Nümbrecht und endlich Schloss Homburg.

Einmal an einem wunderschönen Sonntag im Mai, es wird 1946 gewesen sein. Meine Mama wollte eine Glucke setzen und hätte gerne besondere Rasse-Eier von Ommeroth gehabt. Horst (Schumacher) und ich gingen um 14 Uhr los, die Kühe waren gemolken, den bekannten Weg durch den grüngoldenen Wald, die frischen Äcker bei Höhnrath, Kölschbach und dann das damals verträumte Ommeroth. Ein Maitag, wie er nicht schöner sein kann. In Ommeroth murmelte die Quelle, liefen die schönsten Hühner, Enten und Gänse umher, die Haustüre war nicht abgeschlossen. So war das früher auch bei uns. Aber die Familie Diez war nicht zu Hause, und so konnte aus dem Eiergeschäft nichts werden. Aber die Erinnerung an diesen grüngoldenen Maitag bleibt. Auf dem Brandteich in Höhnrath, an dem wir auf dem Heimweg vorbeikamen, schwammen weiße Enten. Einmal bin ich mit dreißig Pfund Saatweizen auf der Schulter nach Höhnrath zu Pons gegangen. Wir hatten auf der „Deichhardt“ eine große Weizenernte mit einem besonderen Weizen gehabt. Davon wollten Pons gerne haben, und so brachte ich die dreißig Pfund hin und nahm von ihrem Weizen dreißig Pfund zurück, ebenso über die linke Schulter. Pons hatten zwei Kinder, Heinz und Gertrud. Heinz war mein Jahrgang. Er hatte durch eine verschleppte Mandelentzündung ein schweres Rheuma bekommen. Wurde dann wohl herzkrank und ist mit 27 Jahren gestorben. Da war ich schon verheiratet und wohnte in Herchen. Wie ich mit meinem Weizen ankam, da kam er ganz krumm und voller Schmerzen aus dem Bett, aber den Besuch wollte er sich nicht entgehen lassen.

Einmal im Krieg, mitten in der Nacht, eine furchtbare Explosion. Unser Haus bebte, seitdem wollten alle Schlösser in den Türen nicht mehr recht passen. Eine Luftmine war in die Bodenbergwiese gefallen, hatte bis zu uns die ungeheure Druckwelle verursacht und einen riesigen Krater gemacht. Ebenso hat eine Luftmine bei der Jucht das Rötzels Haus hinweggefegt. Aber kein Mensch wurde verletzt. Es war, als ob die Flieger auf dem Heimweg nach England ihren tödlichen Rest in schwach besiedeltes Land abwürfen. Ich erwähnte die Polonia Hammer in Hahnenbach. Der älteste Sohn hatte ein Motorrad und eine Lederjacke und -mütze. Er betrieb einen Kaffeehandel mit Hausbesuchen und belieferte auch meine Tante Auguste (Peters) mit den edlen Bohnen. Dabei erzählte er, dass seine Mutter Hähnchen zu verkaufen hätte, die nun schlachtreif seien. Junge Hähnchen gab es früher im August zur Gurkensalat- und Frühkartoffelzeit, und sie waren eine einmalige Delikatesse. Meine Vettern Carl P. und Karl G. hatten Ferien und machten sich auf den Weg nach Hahnenbach, um die einmalige Delikatesse zu kaufen. Dort angekommen: großer Lärm im Hause Hammer, die Polizei war da. Es ging um ein Uhr. Die Polonia jammerte: „Er hätt se nitt, er hätt se nitt, se es knidderineneen (völlig kaputt).“ Unter dem Gezeter reißt sie die Schublade aus dem Tisch, wirft sie dem Gendarmen gegen die Beine und fällt dann dramatisch in Ohnmacht. Ihr Mann, der Hammersch Pitter, darauf: „Helft mer dat arme Minsch uphewwen un in et Bett daan.“ Meine Vettern machten, dass sie ohne Hähnchen davonkamen. Alle Beteiligten leben heute nicht mehr. Es geschah um 1930 herum. Die stabilen Eichenbalken von Haus Hammer wurden zum neuen Haus von Förster Wulf in Höhnrath-Jucht verwendet.

Am Ostermorgen, es wird 1943 gewesen sein, stehen bei Schmeiss in Kölschbach zwei englische Piloten vor der Tür. Abgeschossen, hatten sie sich mit dem Fallschirm retten können. Junge Neuseeländer, die dem Tod entgangen waren. Sie waren dankbar, bekamen ein Frühstück, aber leider kein Osterei. Schmeiss selbst, der zur Kirche nach Dattenfeld wollte, nahm sie mit zur dortigen Polizeistation. Alles ging einträchtig vonstatten.

 
Grete Schneider als BDM-Mädchen

Nun auf die andere Seite (gemeint: der Sieg). In Bitze im Irsertal holten mein Schwager Willi und ich im Frühjahr 1946 ein Schweinchen. Hin ging es in Schladern über die teilweise gesprengte Eisenbahnbrücke nach Mauel. Die große Brücke (Straßenbrücke) für Fußgänger und Fahrzeuge war gesprengt. Es war lebensgefährlich, auch an dem Morgen, weil alles bereift war. Von Mauel ging es über Lindenpütz, Roth, Obernau runter nach Ehrentalsmühle und schließlich über den Irserbach nach Bitze. Dort gab es bei dem Bauern das Schweinchen. Es wurde in einen Sack gesteckt und mit diesem in eine Mange gelegt. Außer dem Kaufpreis (in Reichsmark) mussten wir noch die Sonntagsschuhe von meinem verstorbenen (im April 1945) Vater dreingeben. Zurück, den Korb zwischen uns tragend, denselben Weg. In Mauel fuhr uns ein Fährmann gegen Geld mit einem Boot über die Sieg. Nie wäre ich noch einmal über die Eisenbahnbrücke gegangen. Selbst nicht mit „Schwein“.

Es war an einem schönen Vorfrühlingsmorgen 1946, da gingen Horst und ich mit Speck und Eiern im Rucksack zu Fuß von Schladern nach Bohlenhagen bei Waldbröl. Wir gingen von zu Hause „Oben im Hof“ über den Bodenberg, Höhnrath, Hahnenbach, dann die Westertstraße bis wir am Ziel waren: bei Schumachers in Bohlenhagen. Das waren gute Leute mit einem gepflegten Bauernhof, alte Bekannte von meinen Langenberger Großeltern her. Meine Mutter war mit 18 bis 21 Jahren in der damals jungen Familie, das erste Kind kam zur Welt, in Stellung gewesen. Nun zurück zum Jahr 1946: Ich hatte keine derben Schuhe mehr, und Schumachers hatten Verwandtschaft zu einer Waldbröler Gerberei. Von dort kam das Oberleder und Sohlleder für meine neuen Schuhe. Wir bekamen Kaffee, und dann wanderten wir zurück mit dem eingetauschten Leder und wollten über die Nutscheid nach Hause. Dort haben wir uns verlaufen, die Wegweiser waren alle verkehrt herum. Ein-Mann-Löcher waren noch von unseren Soldaten vorhanden, Gasmasken lagen herum. Nun kannte ich den Weg nicht mehr. Horst sagte: „Nun verlassen wir uns auf die Sonne, ich kenne das aus meiner langen Soldatenzeit“ und so kamen wir in Höhnrath raus. Pons arbeiteten auf dem Feld, Miststreuen. Mama war froh, wie wir wieder da waren, hatte sich große Sorgen um unser Ausbleiben gemacht. Schuster Fuchs in Schladern machte mir prima Halbschuhe, derbe, die ich lange tragen konnte. Ich habe im Gegenzug der Familie Schumacher zwei Handwagen der Firma Langen für Persil eingetauscht. Die „junge“ Frau Schumacher, damals um die vierzig, hatte einen Bruder in führender Stellung bei den Persil-Werken. So schlug man sich damals durch.

Der Ohm Peters, ein redlicher Schuhmachermeister, lebte zu der Kaiserzeit. Seine Kuh war „frischmelk“ und gab eine gute Menge Milch. Ohm „Pittersch“ voll Stolz: „Us dr Butter, die mer jetz kirnen, künnt mer noch en Pastur schloon.“ (Aus der Butter, die wir jetzt machen, könnte man noch einen Pastor schlagen; soll heißen: ihn satt machen) Ein andermal las sein Sohn voll Stolz vom Afrikaforscher und Kaufmann Peters vor. „Papa, der künn uns noch verwandt sing“ „Bis du jo still, meenst du, mir wullten met jedem Luusnickel verwandt sing?“

Kriegs- und Nachkriegserinnerungen

Es war im Februar 1945, die Schneeglöckchen blühten. Das Unglück von Rosbach war schon geschehen. Da kam mein zukünftiger Schwiegervater mit dem Zug von Herchen, die Züge verkehrten noch. Er hatte gehört, dass in der Nähe von Schladern ein deutscher Jäger abgeschossen worden sei, und das sei ein besonderes Flugzeug. Er war ja sehr neugierig und wundergläubig zugleich. Das Wetter war an dem Sonntag ein bisschen bedeckt, was uns freute, wegen der feindlichen Jabos (Jagdbomber). Wir wussten in Schladern nur, dass das Flugzeug bei Höhnrath niedergegangen sei. So machten wir uns auf den Weg nach Oberwindeck, dann durch den Eisbornen hinauf nach Jucht und Höhnrath. Dort erfuhren wir bei Pons, dass das Flugzeug im Tannenwald auf Hahnenbach zu finden sei. So war es denn auch. Es hatte eine breite Schneise in den Wald gerissen und hing in zwei mächtigen Tannen, denen auch die Spitzen zerfetzt waren. Es war ein einsitziges Jagdflugzeug. Die Kanzel offen, fast unversehrt, innen ein schönes, blankes Armaturenbrett, der Propeller aus poliertem Holz und nur an einer Stelle abgebrochen. Von einer besonderen Wunderwaffe keine Spur. Ich hoffte nur, dass sich der Pilot früh genug retten konnte. Ja, die „Wunderwaffe“, die V2, die haben wir damals oft „orgeln“ gehört und dann den mächtigen Kondensstreifen gesehen, wenn sie längst nicht mehr zu hören war. Die Abschussrampe war ja auf der Leuscheid. Die Bedienung dazu lag hier in Herchen im Quartier. Mein Schwiegervater und ich gingen in gedrückter Stimmung durch den Bodenberg zurück nach Schladern in mein Elternhaus. Am 8. August 1945 sitzt meine Schwiegermutter, Martha Schumacher, im Wohnzimmer und stopft Strümpfe.

 

Martha Schumacher, Herchen 1947

Damals war Stopfen und Flicken sehr nötig, denn neue Sachen gab es nicht. Sie sieht vom Erkerfenster die Au hinunter, die damals noch frei (von Häusern) war, und sieht zu ihrer unendlichen Freude Horst die Au heraufkommen. Er war müde, hungrig, und der Rücken war voller Flohstiche, die Uniform abgetragen und schmutzig. Aber wieder zu Hause. Im Waschkessel wurde Wasser heiß gemacht, gebadet und sauber angezogen, und eine ordentliche Pfanne Kartoffeln war auch fällig. So war er, wenn auch abgerissen, gottlob soweit gesund, bis auf die Granatsplitter im Bein, nach Hause gekommen. Am nächsten Tag, einem Samstag, kam er unangemeldet mit dem Fahrrad nach Schladern. Wie groß war meine Freude!

Am Sonntagmorgen gingen wir zusammen zum Grab meines Vaters, der am 4. April 1945 durch einige Splitter von einer Granate den Tod gefunden hatte. Noch waren Friedrich und Johann in Gefangenschaft, ohne dass uns eine Nachricht erreichte, ein quälendes, ungewisses Schicksal.

Im Sommer 46 haben wir in Schladern oben im Hof geheiratet. Unser lieber Pastor Hacke hielt die Haustrauung. Nur die nächsten Angehörigen von beiden Seiten waren dabei. Und doch hatte ich ein feines schwarzes Seidenkleid und Horst einen neuen schwarzen Anzug. Setta (Schwester) und Opa Ferdinand (Schwiegervater) waren ja Schneidermeister. Zu essen hatten wir auch genug auf der Feier, nur keinen Bohnenkaffee und kein Glas Wein. Es fehlten für immer mein Vater und mein Schwager Fred (1943 in Russland gefallen) und die kleine Ellen (seine fünfjährige Tochter, getötet beim Bombenangriff auf Rosbach). Johann und Friedrich kamen, wenn auch für immer krank, aus der Gefangenschaft zurück. Von Schladern, da waren wir schon verheiratet, wohnten aber noch dort, bin ich mit dem Rad und fünfzig Pfund Hafer nach Rimbach hoch oben im Irsertal, damals französische Zone, gefahren. Da gab es eine Mühle, die aus dem Hafer Haferflocken schälte. Auf dem Rückweg fuhr ich über Leuscheid nach Herchen und die Sieg hinauf nach Schladern. Eine Woche später konnte ich die Flocken abholen. Zwanzig Pfund waren es nach Abzug des Lohnes. Ich fuhr hin und zurück von Schladern über Rosbach nach Imhausen, das Irsertal hinauf nach Ehrentalsmühle und weiter bis Rimbach. Da kam ich auch an der Leuscheider Bitze vorbei. Dort habe ich ein andermal einen Sack Weizen geholt, auf dem Gepäckständer in einem Gummituch verschnürt, weil es regnete. Zu der Zeit hatten wir schon belgische Besatzung. Einige Male holte ich auch eine Flasche Rapsöl bei Stövers in Bitze. Die Irserstraße war zu der Zeit voller Schlaglöcher. Ich wundere mich noch heute, dass mein Fahrrad, 1934 hatte ich es bekommen, das alles aushielt. Auch ein Ferkel haben wir im Frühjahr 46 bei Stövers geholt. Aber das haben wir zu Fuß erledigt. Mit Horst bin ich, als wir in Herchen wohnten, auf manche Hamstertour ins Leuscheid gegangen. Denn die Nachkriegsjahre waren hier in Herchen Hungerjahre. In der schlimmsten Zeit, ehe ich von Dr. Dyckhoff Zusatznahrung verschrieben bekam, wog ich nur noch 108 Pfund (54 kg). Einmal gingen wir an einem bitterkalten Tag nach Sangerhof zu Schreiners. Unterwegs wurde es Horst schlecht vor Kälte. Bei Schreiners war Leid, der einzige Sohn und Erbe war vor sechs Wochen gestorben und hinterließ eine Frau und einen kleinen Jungen. Der Vater war noch sehr rüstig, wir bekamen Kaffee, er schnitt selbst das frische Brot bedächtig, fast andächtig; wir bekamen auch eins mit. Im Herbst haben wir von dort einen großen Korb Zwetschgen geholt und hatten die Igelstalstraße hinunter unsere Arbeit mit dem Bremsen. Einmal holten wir beide mit demselben Bunkerwägelchen einen Sack Weizen aus Niederleuscheid. Als Horst nicht mehr halten konnte, bei so einem Wägelchen liegt das Gewicht auf den Armen, habe ich die Last bis nach Hause in die Goldau gefahren. Der Sack Weizen stand in der Ecke unseres Schlafzimmers zur großen Freude der Mäuse. Wir amüsierten uns, wie sie auf dem glatten Boden liefen und knusperten und knusperten. Später fuhr ich mit dem Rad in zwei Touren Weizen nach Wilberhofen und ließ ihn dort zu Mehl mahlen. Was bin ich in diesen Jahren zu Fuß und mit dem Rad unterwegs gewesen. Auch zur Bachmühle, das war im September 48, dort gab es zehn Pfund Weizenmehl ohne Bezugsschein. Dann sind Horst und ich mit dem Handwagen nach Lüttershausen zu Krämers gefahren, um Birnen zu holen. 1956 besorgte ich drei Zwetschgenbäume aus Schladern für unsere Wiese, konnte viel einmachen und auch verkaufen. Oft ging bei diesen Märschen ein Tag drauf. Ein andermal holten wir mit einem langen Schlitten oberhalb vom Päda (jetzt: Bodelschwingh Gymnasium) eine Zuteilung schweres Brennholz herunter. Drei- oder viermal sind wir gefahren, trotz der schlechten Ernährung war ich stark und mutig. Dann haben wir in Neuenhof in dem alten Busch (= Wäldchen) Holz abgemacht; es war ein schlimmer Transport. Schanzen (Holzbündel aus Zweigen, wurden zum Anzünden des Feuers gebraucht) habe ich gebunden, gut dass man alle Arbeit konnte. Wir arbeiteten Hand in Hand, nur zum Waldbeerenpflücken konnte ich Horst nicht ermuntern.

Grete Schumacher, geb. Schneider

Sonntags fuhr uns Max Weiher (Nachbar, Obst- u. Gemüsehändler) mit seinem kleinen, dreirädrigen Lieferwagen auf die „Lange Strecke“ zwischen Leuscheid und Weyerbusch, dort gab es 1947/48 unendlich viele Waldbeeren. Ich bin einige Sonntage mitgefahren, halb Übersehn war auf dem Wägelchen, abends kamen wir mit vollen Eimern heim. Wochentags bin ich zu Fuß hingegangen, einmal mit Frau Berghoff und einmal mit Kolfs Magdalene (Nachbarin, später Frau Kölschbach, vom “Siegtaler Hof“). Nun liegen mehr als fünfzig Jahre dazwischen und trotz aller Mühe war es schön. Waldbeerpfannkuchen und Eingewecktes entschädigten reichlich. Ich denke voll Freude an all die Arbeit zurück; ich konnte in jedem Geschirr gehen (viele Tätigkeiten mit Geschicklichkeit ausführen). Ich denke auch an das dreiwöchige Äpfelpflücken für Tante Alma (älteste Schwester von meinem Großvater Ferd. Schumacher, wohnhaft in Werfen). Samstagnachmittags und sonntags half Horst feste mit. Es war eine schwere Arbeit mit der alten, schlechten Leiter in den hohen Bäumen. Aber wir hatten für 340 DM Äpfel für Tante Alma gepflückt – der Zentner kostete damals im Schnitt 12 DM (nach der Währungsreform 1948.). Zum Schluss nahmen Horst und ich als Lohn für uns noch zwei Körbe auf dem Handwagen mit. Alles zu Fuß, hin und her. Damals gab es auch aus Werfen noch viele Birnen für uns, die herrlichsten Marillen, zwanzig bis dreißig Gläser, große 1 ½ Liter, habe ich eingemacht.

So fing es mit den Schneiders im Ort Schladern an

So wie ich es aus Erzählungen meines Vaters und Tante Auguste, verh. Peters, weiß und aus eigenen Nachlesungen, so fing alles bei uns Schneiders in Schladern an. So um 1815/1820 herum kamen Johann Bertram Schneider aus Halscheid und sein Schwager Wilhelm Öttershagen aus Öttershagen als erste Ansiedler in das heutige Schladern. Sie kauften das Land, welches das heutige Schladern ausmacht, mit Ausnahme des vorderen und hinteren Scheuerfeldes, vom Preußischen Staat. Alles war früher Klosterland, welches zu dem großen Klosterhof, heute „Haus Schladern“, gehörte. Unter Napoleon (säkularisiert), der ja das Bergische Land, Düsseldorf, (gemeint ist das Herzogtum Berg) zu dem wir gehörten, annektiert hatte, und alle Kirchengüter enteignete. Also, diese Schwäger kauften das Land von Preußen, zu dem wir nun gottlob gehörten. Unten im Krummauel hatten sie zuerst eine Notwohnung, da hatte Tante Guste noch ein großes Grundstück. 1836 baute mein Ururgroßvater Johann Bertram Schneider „Oben im Hof“ das große Fachwerkhaus mit Scheune und ließ in den Balken schnitzen „Allen die hier vorbeigehen und mich nennen, gebe Gott, was sie mir gönnen.“ Er war Förster und Schulvorsteher laut Rosbacher evangelischem Kirchenbuch von 1640 bis 1900. Ebenso baute sich sein Schwager Wilhelm Öttershagen, der mein anderer Ururgroßvater ist, „Unten im Hof“ sein Haus. Mein Ururgroßvater Johann Bertram hatte drei Kinder: Wilhelm, Heinrich und Berta. Wilhelm blieb im 1836 erbauten Haus und verheiratete sich in erster Ehe mit seiner Cousine Öttershagen, in zweiter Ehe mit einer anderen Verwandten, Anne-Marie, geb. Schneider, aus Rommen. Mein Urgroßvater Heinrich Schneider heiratete ebenfalls seine Cousine Klara Wilhelmine geb. Öttershagen. Erbaut wurde für ihn, ebenfalls „Oben im Hof“, ein Fachwerkhaus mit Stall und Scheune. Land war genug da. Es ist das Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, das nun in der fünften Generation von einem Schneider bewohnt wurde. Um 1960 musste es einem Neubau weichen, Stall und Scheune stehen noch. Heinrich erlernte zusätzlich (zur Landwirtschaft) das Büchsenmacherhandwerk, viele Nachkommen waren Waffennarren. Die Schwester Berta heiratete „unter sich“ (unter ihre soziale Stellung), einen Busch aus Windeck; beide starben früh und hinterließen eine Tochter, welche bei Heinrich Schneider mit aufgezogen wurde. Die Eisenbahn wurde durch das Siegtal gebaut (1860), eine Riesenveränderung. Vorher war mein Urgroßvater mit geräuchertem Speck und Schinken per Ochsengespann nach Bonn gezogen, zum regelmäßigen Abnehmer. Auch den Stoff für seinen Brautanzug mit allen Zutaten hatte er sich von dort mitgebracht. Er hatte mit seiner Klara Wilhelmine neun Kinder, sechs Jungen und drei Mädchen. Er baute sich noch ein Haus gegenüber dem Bahnhof in Schladern und hatte darin eine Gastwirtschaft und die Stallungen für die Postpferde. Die Postkutsche nach Waldbröl fuhr von seinem „Deutschen Haus“ ab. Mit der Eisenbahn kamen Fabriken und Menschen nach Schladern: Elmores, die Ziegelei, das Eisenwerk usw. Es wurden Bauplätze gebraucht, auch für die Schulen. Es wurde Land verkauft, sie wussten ja gar nicht, wie reich sie damit waren. Geschäftsverbindungen hatte mein Urgroßvater auch mit einem Juden, darüber gibt es noch eine Widmungstasse im Heimatmuseum in Altwindeck. Heinrich baute für jedes verheiratete Kind ein Haus. Für meinen Großvater Christian war das Haus „Oben im Hof“ da, zwei Morgen Land unmittelbar drumherum. Dazu die Schmiede nicht weit vom Bahnhof. Daselbst für meinen Stief-Großvater Karl (Ohm Karl, Bruder von Christian) ein großes Fachwerkhaus mit zehn Zimmern und zwei Speicherzimmern. Sein (Heinrichs) Sohn Fritz bekam die Gastwirtschaft am Bahnhof. Martin und Wilhelm waren bei Fritz im Haus, machten die Landwirtschaft und buken Brot und Kuchen für die Gastwirtschaft und zum Verkauf. Die drei Töchter bekamen auch jede ein Haus, wie sie heirateten: Peters, Müller und Gottlob. Der Bruder August, auch unverheiratet, war bei der Schwester Elisabeth verh. Müller und besorgte auch noch eine Landwirtschaft mit seinem und ihrem Land. Müller hatte die Bahnhofsgaststätte und war Fleischbeschauer.

Nun zurück zu meinem Großvater Christian, der Schmied und Landwirt war. Er wohnte „Oben im Hof“, auch das Land oben gehörte ihm, noch viel mehr als wir (später) hatten, auch war ganz schön Wald dabei. Christian heiratete mit 32 Jahren die 18-jährige Katharina, geb. Eschmann, aus Rommen, aus einer guten Bauernfamilie stammend. Die Ehe soll von den Vätern vermittelt worden sein, und Katharina (war) sehr ansehnlich (hübsch). Ihre Mutter war Margaretha, geb. Koepe, aus Distelshausen. Daher die Verwandtschaft mit den Eschmanns in Eulenbruch und den Koepes in Mauel, die früher sehr gehalten (gepflegt) wurde. Die Eschmanns und die Koepes sollen ursprünglich Hugenotten gewesen sein. Meine Großmutter Katharina hatte noch drei Schwestern, die gut verheiratet waren und zwei Brüder, die nicht mehr Bauern in Rommen sein wollten, sondern dort alles verkauften und an die Agger nach Gummersbach zogen. In dem Elternhaus meiner Großmutter, einem soliden Fachwerkbau, wohnt heute Richard Wick mit seiner Familie.

Meine Großeltern wohnten also oben im Hof mit der Landwirtschaft dabei und der Schmiede. Die stand zwischen dem heutigen Pickhardts Haus und Müllers Haus, das Haus vom Ohm Karl war rechts vom ersteren; alle drei Häuser hatten große Gärten. Gegenüber Pickhardts, damals Peters: das Gottlobs Haus. Großvater Christian und Großmutter Katharina hatten zwölf Kinder: Heinrich, Anna, Karl, Emilie, Christian, Wilhelm (mein Vater), Auguste, Margarethe, Wilhelmine, Emma, Martin und Fritz. Großvater Christian muss nicht besonders geschäftstüchtig gewesen sein, Ohm Karl, der Bahnbeamter, Junggeselle und sehr sparsam war, ist wohl oft helfend eingesprungen. Großvater Christian ist nicht sehr alt geworden. Nach seinem Tod haben Katharina und Karl, die im gleichen Alter waren, geheiratet. Sie zogen dann mit den noch unverheirateten Kindern in das neue Haus unten im Ort. Nach dem Tod von Großvater Christian gab es keine eigene Schmiede mehr; (seine Söhne) Karl, Christian und Heinrich, die Schmied und Schlosser gelernt hatten, gingen ihrem Beruf in den Fabriken und im Steinbruch in der Westert nach. Heinrich und Christian heirateten nicht. Karl heiratete die „Ühmen“ Dela Schneider, die ich noch gekannt habe. Die Ehe blieb kinderlos und Karl starb früh. Mein lieber Vater Wilhelm war bis zu seinem sechsten Lebensjahr, da zu Hause ja so viele waren, bei seiner inzwischen verwitweten Großmutter Eschmann in Rommen, wo er eine herrliche Kindheit hatte. Mit 16 Jahren, er war 1877 am 15. November geboren, kam er zu der Familie Höffer - Landesprodukte, Kohlen, Briketts – als Fuhrmann. Er wohnte auch dort und war vollkommen in der Familie (aufgenommen). Seine Schwester Anna heiratete nach Düsseldorf-Erkrath und hatte fünf Kinder. Emilie ging nach Amerika, wurde früh Witwe, hatte einen Sohn, Karl Graske. Brachte ihren Jungen nach hier zur Schwester Anna nach Erkrath, ging wieder nach Amerika, verdiente gut, Haushälterin bei reichen Familien. Karl machte Abitur, studierte, hatte einen hohen Posten bei Dynamit Nobel, wohnt nun mit seiner Familie in Kehlheim bei Regensburg. Tante Gretchen und Tante Mina heirateten ebenfalls nicht. Die Erstere verdiente ihr Brot in Amerika, die andere in Holland; beide als Haushälterinnen in reichen Häusern. Tante Gustchen heiratete ihren Vetter Karl Peters, mit dem sie drei Kinder, Carl, Fritz und Dore, hatte. Ihr Mann fiel im Ersten Weltkrieg, die beiden Jungen im Zweiten Weltkrieg. Dore heiratete den Witwer unserer Cousine Lieschen Müller, Brökelschen. Sie ist nun auch verwitwet. Tante Emma war verheiratet mit Max Hagedorn, sie hatten eine Tochter, Emmy. Onkel Martin wurde Gärtner, hatte die schöne Gärtnerei (später Becker) gegenüber dem neuen Elternhaus. Er ist im Ersten Weltkrieg gefallen. Onkel Fritz, gelernter Konditor, hatte in Siegburg zusammen mit seinem Schwager einen Süßwaren-Großhandel, Pleite gegangen. Helmut, ein Sohn von Fritz, hat auch Pleite gemacht. Das schöne zweite Haus von Großmutter Katharina erbte Tante Emma Hagedorn, verkaufte es im ersten Kriegsjahr 1940. Verrückt! Baute ein kleines Haus gleich nach dem Krieg „Auf dem schmalen Örtchen“.

Papa mit Manfred und Hans

Nun aber zu meinen Eltern. Meine Mutter Emilie geb. Wengenroth aus Langenberg wurde am 20. August 1880 geboren. Sie war sehr fleißig, tatkräftig und hart gegen sich selbst. War praktisch und wirtschaftlich veranlagt, sehr sparsam. Sie war gut drei Jahre lang in Stellung in der Gastwirtschaft und Metzgerei Baum „Deutsches Haus“, die Urgroßvater Heinrich gegründet und sein Sohn Fritz durch schlechtes Wirtschaften und Gutmütigkeit (half jedem Betrübten) verloren hatte. Baum stammte aus Waldbröl, seine Frau Berta geb. Schneider, eine Verwandte von den „Ühmen“ und Schwester von Tante Dela, war ganz zierlich und kränklich. Meine Mutter war die „erste Kraft“, verdiente damals dreißig Reichsmark im Monat, daneben noch ein Mädchen und die Waschfrau. Es war dort sehr viel Arbeit. Fremdenzimmer mit festen Kostgängern gab es auch, dazu einen festen Mittagstisch für die Angestellten in den Fabriken usw. Es gab auch einen großen Saal, in dem Bälle, Hochzeiten usw. stattfanden. Schladern war damals ein sehr reger Ort. Um 1860 gab es nur 63 Einwohner, aber dann wuchs der Ort dank der Eisenbahn und der Industrie. Sogar der Viehmarkt wurde in Schladern gehalten, es gab ja den großen Güterbahnhof mit Gleisanschluss. Meine Mutter war der verantwortungsvollen Arbeit bei Baums gewachsen. Hier in Schladern freundete sie sich mit Papas Schwestern an und lernte so auch Wilhelm Schneider, geboren am 15. November 1877, kennen. Am 2. Februar 1906 heirateten sie, große Hochzeit bei Baums im Saal. Erst hatten die beiden eine kleine Mietwohnung bei Demmers unten im Hof. Papa hatte einen Wochenlohn von 27 Reichsmark. Genau ein Jahr nach der Hochzeit, am 2. Februar 1907 kam Wilhelm zur Welt, knapp zwei Jahre später am 15. Dezember 1908 Emilie, genannt Mielchen. Inzwischen war das Haus oben im Hof leer, meine Eltern setzten es instand und zogen 1909 ein. Nun hatten sie eine große, offene Küche, Stube und im oberen Stock vier Stuben. Dazu Futterkammer, Kuhstall für vier Tiere und eine große Scheune. Meine Mutter konnte nun ihrem Drang zum Schaffen so richtig freien Lauf lassen. Am 19. April 1910 kam Lisette, genannt Setta, oben im Hof zur Welt. Außerdem wurden nun ein großer und ein kleiner Garten bebaut, das ererbte Feld bestellt, Hühner, Ziegen und eine Kuh angeschafft, dazu selbstverständlich ein Schwein gemästet. Alles musste sie doch in die Hände nehmen, denn mein Vater hatte einen Zwölf-Stunden-Tag, sechs Tage in der Woche, und sonntagmorgens und abends musste er auch zu Höffers runter und das Pferd, ein schweres Kaltblut, füttern. Bruder Friedrich wurde am 14. Januar 1913 geboren, so waren in sechs Jahren vier Kinder zu ernähren und zu kleiden. Ich weiß nicht, wie sie das alles schaffte, sie war damals robust und für ihre Person anspruchslos, und die Kinder waren alles andere als verwöhnt.

Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach, musste mein Vater gleich am 3. August einrücken und kam an die Westfront. Er war Fuhrmann beim Train und fuhr u. a. Munition an die Front. Kam im Stellungskrieg in einen Gasangriff der Engländer (Grünkreuz), wurde davon sehr krank und lag sieben Monate im Lazarett. Danach war er nicht mehr „fronttauglich“, sondern wurde abkommandiert ins „Große Hauptquartier“ nach Spa in Belgien. Dort hatte er es gut als Bursche bei einem Generalstabsoffizier. Aber meine Mutter: vier Jahre allein bis auf kurze, seltene Urlaube, mit vier Kindern, viel Arbeit und Sorgen. Sie brachte es noch fertig, 17 Ar Land von Onkel Karl, dem zweiten Großvater, zum Ererbten hinzu zu kaufen, damit sie mehr zum Essen anbauen konnte. Die Feldarbeiten machte der Höffers zugeteilte französische Kriegsgefangene freundlicherweise für sie mit. Es war das Grundstück, das ich erbte, 1964 verkaufte, und mit dem Erlös hier im Haus (in Herchen) so viel renovierte und erneuerte, dass es wieder richtig schön wurde. Wir hatten ja eigenen Wald, sie machte selbst Holz, damit sie heizen konnte. Und immer hatte sie guten Mut und „voran in die Welt, nicht unterkriegen lassen“. 1918 kam mein Vater, gesundheitlich angeschlagen, 50 Prozent kriegsbeschädigt, beim Kriegsende nach Hause. Er wurde wieder Fuhrmann bei Höffers. Am 1. Februar 1920 kam ich oben im Hof als fünftes, gar nicht gewünschtes Kind zur Welt. Meine Mutter wurde sehr krank, Venenentzündung, offene Beine. Musste wochenlang liegen, es muss eine harte und schlimme Zeit für die Familie gewesen sein. Wie es ihr wieder besser ging, stürzte sie sich in noch mehr Arbeit. Die Großen mussten helfen. Es war in der Inflationszeit. Die Holzpreise waren sagenhaft hoch. Von dem Wald im „Griesen Siefen“ wurden die dicken Tannen abgemacht und verkauft und dafür noch eine Kuh gekauft. Das musste schnell gehen, am nächsten Tag hatte das Geld schon viel an Wert verloren. Großvater Karl war inzwischen 1918 und Großmutter Katharina 1920 verstorben. Sie hatte gesagt, ich sei ihr „Kirchhofsröschen“. Das Land, was Papas Geschwistern gehörte, das benutzten wir nun mit und bezahlten deren Steuern. Meine Geschwister Wilhelm und Friedrich machten bei Elmores eine Dreher- bzw. Schlosserlehre, Setta eine Schneiderlehre bei Berta Klein in Hof bei Rosbach. Ich kam 1926 in die evangelische Volksschule in Schladern, ging gern zur Schule und hatte eine frohe Kindheit mit Eltern und Geschwistern.

Oben v. li.: nn,nn, Christel Walter (Beewen), nn,

Reihe darunter, beginnend links mit dem großen Mädchen: Maria Volkmar (Schippmann), Mädchen darüber mit Schleife nn, Lehrer Walter mit Sohn Konrad im Arm, kleines Mädchen mit Zöpfen ?? Debus, große mit Schleife nn, nn, nn, Mädchen stehend ganz rechts nn,

die 3 Kinder leicht unterhalb rechts von Lehrer Walter, nn, Christel Schiffbauer (Sprenga) nn

Reihe 2 v. unten links: kleines Mädchen nn, nn, Erich Weber, nn, nn, nn, nn, Hilde Pracht?, Emmi Setzer, Anneliese Kemp, Erwin Ring, nn

Unten von links: Wilhelm Klüser, alle anderen nn

1928 im April holt mein Vater bei Höffers im Stall Heu fürs Pferd vom Schuppen. Eine Sprosse an der Leiter bricht, und mein Vater fällt und bricht sich zwei Rippen. Denkt, der Schmerz ginge vorüber, arbeitet noch zwei Tage und wird sterbenskrank. Eine Lungenentzündung kam noch hinzu. Er hat, da es noch kein Penicillin gab, zwischen Tod und Leben geschwebt. Ich kann mich noch an die Fieberattacken erinnern, und ich saß auf der Fußbank vor seinem Bett und musste aufpassen, wenn er aus dem Bett springen wollte. Wie nun Vater gottlob wieder auf den Beinen war, 51 Jahre alt, war es mit dem Beruf als Fuhrmann vorbei. Sein Bronchialleiden durch die Gasvergiftung hatte sich so verschlimmert, dass sein Kriegsleiden mit 80 Prozent anerkannt wurde, darauf bekam er eine Invalidenrente, dazu seine Rente. Das war alles mehr als sein Lohn bei Höffers, und meine Brüder verdienten schon Geld, ebenso Setta. Mielchen arbeitete zu Hause und auch ich musste überall schon mithelfen, denn bald gab es vier Kühe, zwei Schweine und ein Rind. Wir hatten schöne Jahre mit viel Arbeit, aber auch Freude und ohne Not. Mielchen heiratete 1934 Willi Krämer und zog nach Rosbach in sein elterliches Haus. Ich musste nun sehr viel arbeiten. Mit 15 Jahren molk ich die Kühe, machte Garten- und Feldarbeit sowie im Haus, besonders putzen und bügeln waren selbstverständlich. Dann fand ich, und auch schließlich meine Eltern, dass ich besser einen Beruf erlerne. So wurde ich bei der privaten Handelsschule Gardener-Rehm in Siegburg im Siegfeld angemeldet, geprüft und angenommen. Ein Jahr dauerte die Schule, wir mussten viel lernen. Nach erfolgtem Abschluss wurde ich bei der Firma Elmores als Stenotypistin angestellt. Später ging ich zum Landratsamt (jetzt: Kreisverwaltung) nach Siegburg. Dort konnte ich mich finanziell sehr verbessern. 1943 im November haben wir uns verlobt. 1946, am 5. Juli, wurde geheiratet, in Schladern, im elterlichen Haus. Im November 1946, am 8., zogen wir nach Herchen (zu den Schwiegereltern). Von November 1943 bis August 1945, als Horst aus englischer Gefangenschaft kam, haben wir uns nicht mehr gesehen, nur schreiben können. Dann kamen ab Februar 1945 auch keine Briefe mehr. Bei unserer Heirat 1946, durchgeführt von Pastor Hacke aus Rosbach, der mich auch konfirmiert hatte, waren Friedrich in russischer und Johann (Schwager, Ehemann von Setta) in englischer Gefangenschaft. Beide kamen krank nach Hause, mit bleibenden Schäden.


Wilhelm und Ilses Hochzeit 1941

Krankheits- und Todesfälle in der Familie Wilhelm Schneider

Mein Vater, hatte im Ersten Weltkrieg eine Gasvergiftung erlitten und kam krank nach Hause. Schon 1928, mit 51 Jahren, wurde er Vollinvalide infolge Bronchialasthmas. Er ließ sich nie hängen, machte dabei noch eine kleine Landwirtschaft, konnte alle Arbeiten und was er unter die Hände nahm, ganz genau machen, auch das Vieh pflegen. Er war mir ein guter Vater; konnte treffend sarkastisch sein. Beim amerikanischen Artilleriebeschuss auf Schladern wurde er am 4. April 1945 nahe bei Müllers Terrasse von Granatsplittern getroffen. Zwei Tage bevor die Amerikaner einrückten, kurz nach Ostern, am 1. April 1945. Habe ihn noch mit Hilfe von Polen und Italienern (Kriegsgefangene) nach Dattenfeld ins Krankenhaus getragen. Aber alle Hilfe kam zu spät. Er war im 68. Lebensjahr. Es war eine traurige Zeit danach. Emilie Schneider war gesund und stark und kannte keine Grenzen in der Arbeit. Aber Rheuma und Arthrosen kamen und mit Anfang Fünfzig begann der schmerzhafte Leidensweg. Sie war tapfer und arbeitete unter Schmerzen immer weiter in Haus, Garten und Feld, wie auch im Stall, bis es gar nicht mehr ging. Sie war in vieler Beziehung ein Held, rau, aber doch tief voll Sorge um die Ihren. Bis zur letzten Stunde war sie klar und dachte an alles. Sie war für sich bescheiden und eine gute Mutter. Sie hat für uns alles getan, besonders für Wilhelm, als er früh seine erste Frau durch schwere Krankheit (Leukämie) verlor. Sie versorgte einige Jahre seinen Haushalt, bis zu seiner zweiten Ehe. Weil meine Mutter so furchtbar unter Rheuma litt, habe ich meine gute Stellung als Sekretärin beim Landratsamt 1943 aufgegeben und bin zu Hause geblieben, um in der Landwirtschaft zu arbeiten.

 

 

 

 

 

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Windeck, Nordrhein-Westfalen.
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