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Fundstück von unserem Urgroßvater Wilhelm Heinrich Schmidt

Text | Personen | 10.01.1849
Dattenfeld Schlehdornweg 3 WilhelmHeinrichSchmidt 1849
 
Fundstück von unserem Urgroßvater Wilhelm Heinrich Schmidt 
Geboren am 10. Januar 1849 in Dattenfeld, gestorben am 6. November 1908 ebda. Verheiratet mit Wilhelmina Demmer, geb. am 26. Mai 1861 in Dattenfeld, und dort gestorben am 22. September 1902.
Von Edith Wegener
Wir sind die Enkelinnen des Conrad Wegener sen. (1881- 1955) und der Katharina Schmidt (1889 - 1941) und treffen uns regelmäßig in Köln oder Dattenfeld zum Klönen und auch zum Austauschen von Erinnerungen. Ich, Edith Wegener, liebe es, die Geschichte unserer Familie aufzuschreiben und sammle deshalb alle Informationen, die mir erzählen könnten, wie unsere Großeltern und Urgroßeltern gelebt haben.
 
 
Auf dem Foto von: Ellen Becker, Tochter des Willy Wegener, Agi Bode, Tochter des Josef Wegener, ich, Edith Wegener, Tochter des Conrad Wegener, jun. und Inge Jung, jüngere Tochter des Willy Wegener.
 
Wir Wegeners nun sind nur zur Hälfte eingeborene Dattenfelder; Conrad Wegener sen. wurde in Kalk geboren, kam als Bäcker nach Dattenfeld und heiratete Katharina Schmidt, die älteste Tochter des Heinrich Wilhelm Schmidt und der Wilhelmina Demmer, also eine echte Dattenfelderin. Gemeinsam hatten sie drei Söhne und eine Tochter.
 
Zu einem unserer Treffen brachte Agi Bode einen Brief und ein Foto mit.
Dieser Brief (Abschrift weiter unten) des Heinrich Wilhelm Schmidt (1849-1908 Dattenfeld), also unseres Urgroßvaters, geschrieben am 27. März 1871 in St. Denis, Frankreich, an seinen Bruder, lagerte mehrere Jahrzehnte im Nachlass des Josef Wegener, seines ältesten Enkels, zusammen mit dem Foto seiner Ehefrau Wilhelmina Demmer, die Heinrich 1887 heiratete. Was für eine tolle überraschung: ein Foto der Urgroßmutter, wahrscheinlich das einzige, das es gibt, und dieser gut erhaltene Brief!
 
Das Briefpapier: Beute des Frankreichkrieges. Der Briefkopf, Maison Imperiale Napoleon, also das kaiserliche Haus Napoleon macht das feine Papier zu Müll, denn der deutsch-französische Krieg ist schon seit Monaten so gut wie gewonnen für die deutsche Seite, verloren für die französische, und Kaiser Napoleon III. hat abgedankt, es gibt kein Maison Imperiale Napoleon mehr; dafür gibt es zu dem Zeitpunkt, als Heinrich diesen Brief schreibt, einen deutschen Kaiser. So ändern sich die Zeiten! Praktischerweise liegen die Deutschen im März 1871 offensichtlich in der Kaserne von St. Denis, in unmittelbarer Nähe von Paris, sodass Heinrich nur die linke Seite durchkreuzen muss, und auf die rechte das Datum eintragen kann.
 
Also: Das Briefpapier ist Beute, Feder und Tinte wahrscheinlich auch, und möglicherweise zeigen die schnürkeligen Versuche am rechten Rand, dass Heinrich zuerst einmal eine andere, breitere Feder ausprobierte. (Vielleicht hat auch nur ein nichtsnutziger Nachfahre Schreibübungen auf dem Papier gemacht.) Er entschied sich für die feine Feder, die er wohl kaum mit dem zugehörigen Tintenfässchen den ganzen Krieg hindurch mitgeführt haben kann; und der Schwung, mit dem er den Brief beginnt, zeugt von reiner Freude am Schreiben. So schreibt niemand, dem es Mühe macht, der vielleicht selten schreibt, der eine Aufgabe vor sich sieht, die anstrengend sein könnte. So schreibt, wer die Feder mit Genuss und selbstbewusst führt und ein Gefühl für Gestaltung und Balance der Schrift an sich hat. Ich weiß gar nicht, was ich schöner finden soll, den Kringel am Beginn des L von Lieber Bruder, perfekt platziert, oder das weit ausgreifende D am Beginn der ersten Zeile. Hat er so viel gelesen, dass er weiß, dass das erste Wort hervorgehoben werden sollte, hatte er einen engagierten Lehrer, oder ist er ein Naturtalent? Sein Selbstbewusstsein unterstreicht er am Ende des Briefes noch einmal mit dem deutlich größeren Wort Heinrich, mit dem er den Brief am rechten Rand abschließt, nachdem er den Gruß und ein weiteres schwungvolles deinem mittig gesetzt hat. Ein Künstler!
Und was schreibt dieser Künstler? Er informiert den Bruder, der schon wieder in der Heimat ist, über die Vorkommnisse in Frankreich, über die politische Entwicklung, soweit er selbst darüber informiert ist. Vermutlich hindert ihn die Zensur daran, über seine persönliche Lage zu sprechen, und so bleiben die einzigen Gefühle, die er über den Krieg äußert, der Verweis auf das schlimme Frankreich, das sein Bruder glücklicherweise schon hatte verlassen können, und seine große Freude darüber, dass sein Bruder die Gefahren des Krieges überlebt hat. Was fehlt sind Stolz oder Begeisterung über den Sieg der Deutschen; was er über seine Beobachtungen und Erfahrungen in Frankreich schreibt, ist sachlich gehalten. Die Parade vor dem Kaiser eher eine Pflichtübung; vom Aufstand in Paris berichtet er, aber dass er zwei Kameraden aus Übersetzig getroffen hat, ist mindestens ebenso bedeutend.
 
Viel wichtiger ist für Heinrich das Zuhause, sind seine Familie und auch ein Freund in der Heimat, mit dem er wohl regelmäßigen Briefkontakt pflegt.  Zum Bruder, den er nicht mit Namen nennt, scheint ein besonders enges Verhältnis bestanden zu haben. Ich hoffe, ich werde herausfinden, wer dieser eine besondere Bruder war, der aus der Menge der Geschwister, die gegrüßt werden, heraussticht, und der wohl Schreiner war, da er zuhause zu Hobel und Säge zurückkehrte.  Auch hier wieder meine Bewunderung. Das hätte man auch einfacher sagen können, aber der Briefschreiber hat die Werkstatt vor Augen und wählt die Werkzeuge aus, um den Beruf und wohl gleichzeitig das Interesse des Bruders an seinem Beruf zu beschreiben. Die beiden hat wohl auch eine Art Geheimsprache verbunden, wie die Abkürzung der 4 Wörter zeigt, und der Hinweise auf einen früheren Brief. 
 
In der nun folgenden Abschrift habe ich mich strikt an das Original gehalten. Wo Heinrich ein Wort anders schrieb, als wir es heute tun, wo er einen Fehler gemacht hat, habe ich das nicht korrigiert. 
 
          Saint Denis, le 27 März 1871
 
Lieber Bruder
 
Deinen mir lieben Brief habe ich in bester Gesundheit erhalten, und zu meiner größten Freude daraus erfahren, das du das schlimme Frankreich verlassen und wieder in Deutschland bist. Für dich wird es auch gewiß, große Freude sein, das du den Hobel und Säge, nach so vielen Gefahren wieder brauchen kannst und für unseren Vater und Geschwister wird die Freude nicht minder groß sein, dich, gesund wieder zu hause zu sehen denn wir haben gewiß auch immer gandz in Angst gelebt. Ich freue mich auch schon immer im Voraus, bald euch alle wieder zu sehen, aber es soll wohl noch 3 Monate oder ein halbes Jahr dauern wier liegen hier immer noch zur Besatzung und wann wier hier weg machen, ist noch gar nicht bestimmt. Wie es heißt bleiben wier so lange hier, bis Frankreich eine große Summe Geld bezahlt hat, und dann sollten wir mit der Bahn nach Deutschland befördert werden. Am 3ten März sollten wir in Paris einrücken aber anstatt einrückten haben wier auf dem Marsfelde, das ganze Gardechor und die Festungsartillerie, welche nördlich von Paris gewesen ist, große Parade vor dem Kaiser gehabt. Nachdem sind wir wieder auf Saint Denis gemacht wo sie uns jetzt noch tüchtig exerzieren und große Marschübungen mit uns machen, (damit die nechsten von uns als Invalide noch abgehen können)
 
Vom 18ten bis zum 20ten haben die Pariser Groß Revoulution gemacht, in der Stadt wurde vom Montmartre mit Geschützen gefeuert, und wann es nicht bald ruhig geworden wäre hätten wier vielleicht noch in die Stadt gemußt, denn wie es heiß soll die Pariser Regierung Bismarck schon darum gebeten haben, deutsche Truppen in die Stadt zu legen. Am 19 (?) xten habe ich Peter Laher und Peter Salz von Uebersetzig getroffen, ich konnte Ihnen aber blos die Hand geben, den ich stand gerade Posten an einer Seine Brücke als Ihr Regmt. über maschierte. Daß 11te Chor liegt bei den Forts Ramaville bis Rosni. Ich schließe hiermit mein Schreiben in der Hoffnung das dich dieser Brief zu Hause gesund und munter antrifft und erinnere dich an die 4 Wörter. i. s. f. d. denn wie es ist wirst du aus meinem letzten Briefe schon sehen den nach Hause geschrieben habe.
Nebst (?) Gruß an dich von Deinem
Dich liebenden Bruder Heinrich 
Gruß an Vater und Geschwister und an Gottfried Schneider (?)
Er sollte mir meinen
Brief doch beantworten
Und viel neues
Schreiben.
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Schledornweg 3