„Mein Windeck ist tot“

Text | Weltkriege, Personen, Verschwundene Orte | Samstag, 31 März 1945

Erschienen im Stadt Magazin Eitorf, Ausgabe März 2015

„Mein Windeck ist tot“

Unter amerikanischem Beschuss ging „Schloss Windeck“ vor 70 Jahren in Flammen auf

Wenn es ums ehemalige Schloss Windeck geht, ist bis heute bei vielen Windecker Bürgern, die es noch mit eigenen Augen gesehen und erlebt haben, die Wehmut des Verlustes zu spüren. Im Jahr 1859 hatte der Landrat des Kreises Mülheim/Rhein und frühere Waldbröler Landrat Oscar Danzier für seine Familie den Feriensitz erbaut. Auf dem Gelände, wo heute die Überreste der mittelalterlichen Burgruine als Windecker Wahrzeichen hoch über das Siegtal ragen, hatte für nicht einmal einhundert Jahre das Schloss der italienischen Familie Caminneci diese Funktion inne. Fünf Wochen vor Ende des Zweiten Weltkrieges, am 1. April 1945, am Ostersonntag, schlugen die ersten Phosphorgranaten in das mit rotem Biberschwanz gedeckte Dach ein. Von den Leuscheider Höhen nahmen die Amerikaner das Schloss unter Beschuss. In einer dramatischen Rettungsaktion gelang es der mutigen Enkelin Vera einen kleinen Teil des wertvollen Interieurs zu retten, für das Schloss aber kam jede Hilfe zu spät, es brannte bis auf den Keller aus.

 

Schloss Windeck – Foto: Familienarchiv Caminneci

Die Ereignisse haben sich in das Gedächtnis der mittlerweile 92-jährigen Vera Lwowski, geborene Caminneci, eingebrannt. Zum Zeitpunkt des Beschusses lebte sie mit ihrer Familie in Burg Dattenfeld. Ihr Vater Waldemar war zu dieser Zeit schon schwer erkrankt und ebenso ans Bett gefesselt wie ihre damals 88 Jahre alte Großmutter Arnoldine Caminneci, eine Tochter des Erbauers Danzier. Für viele Jahrzehnte - bis zum Tod ihres italienischen Ehemannes Andrea im Jahr 1940 - war das Schloss Wohnsitz der Caminnecis gewesen. Nach seinem Tod zog Arnoldine zum Sohn nach Dattenfeld.

Mit nur wenigen Helfern versuchte die damals 22 jährige Vera Lwowski unter lebensgefährlichen Bedingungen aus dem brennenden Schloss noch etwas zu retten. Foto: Schmidt 

 

Vom dortigen Park aus sah Veras Mutter Julie Caminneci an dem schicksalhaften Tag Qualm vom Windecker Schloss hochsteigen und rief zur Tochter: „Ich glaube, sie beschießen Windeck.“ Die 22 Jahre junge Bildhauerin entgegnete entschlossen: „Ich fahre sofort hin.“ Sie gehörte der Dattenfelder Frauenfeuerwehr an, die im Krieg die männlichen Kameraden ersetzen musste. Beim Bombenangriff auf Rosbach, wenige Wochen zuvor, hatte sie beim Löschen und Bergen der Leichen ihr Format bewiesen. Doch diesmal konnte sie nicht auf Unterstützung der Kameradinnen hoffen. Wegen der zunehmenden Beschießung des Feindes auf die öffentliche Zivilbevölkerung, hatte die Frauenfeuerwehr nämlich ihre Löscheinsätze einstellen müssen. Veras Vater versuchte zu intervenieren und flehte seine Tochter an: „Um Gottes Willen, tu das nicht, dein Leben ist wichtiger als Windeck.“ Vera stieg trotzdem aufs Rad und fuhr zum etwa einen Kilometer entfernten Schloss, dessen Dachgeschoss bei ihrem Eintreffen lichterloh brannte.

Foto: Familienarchiv Caminneci

Die beiden Kölner Familien, die als Mieter im Schloss wohnten, hatten sich aus der Villa retten können. Der im Souterrain wohnende Hausmeister und einige Windecker kamen Vera zur Hilfe. „Wir haben die riesigen Gardinen mit Wasser getränkt und uns damit eingewickelt. Dann sind wir ins Haus, um zu sehen, ob wir noch etwas retten können“, erzählt sie. Dort stellte sich heraus, dass die Mieter, die das Haus voll möbliert übernommen hatten, entgegen der Absprache einen großen Teil des Mobiliars auf dem Speicher verstaut hatten. Diese Stücke waren nun verloren. „Vergeblich versuchten wir unter lebensgefährlichen Bedingungen mit Wasser und Schläuchen bis zur völligen Erschöpfung zu löschen. Immer wenn es gerade gelungen war, die Flammen einzudämmen und der Qualm nachließ, schlugen neue Granaten ein und wir mussten uns hinter dem Bergfried in Sicherheit bringen. Aber wir konnten doch einiges retten.“ Die Konzentration lag auf Gemälden. Auch der Steinway-Konzertflügel der Großmutter, zahlreiche historische Möbel, oder ein hölzerner Löwenkopf, der das Treppengeländer geziert hatte, und manches andere, konnte den Flammen entrissen werden.

Vom einst wunderschönen Schloss Windeck ist heute kaum noch eine Spur zu finden. Foto: Familienarchiv Caminneci


Die geretteten Kleinodien wurden mangels Transportmöglichkeit zunächst im Schlosshof, später wochenlang unbewacht in einer Scheune in Oberwindeck gelagert. Viele Stücke verschwanden. Die Amerikaner hatten Burg Dattenfeld beschlagnahmt, so dass dort keine Lagermöglichkeit gegeben war. Ein ehrlicher Finder brachte Wochen später eine Bronze-Skulptur des französischen Künstlers François-Raoul Larche zurück, die er aus den Schuttmassen herausgeholt hatte. Der Phosphor hatte allerdings einen Teil der Büste weggeschmolzen.

Als Vera von ihrem Löscheinsatz nach Hause kam, war die erste Frage der Großmutter: „Ist mein Flügel gerettet?“ Weinend fügte sie hinzu: „Mein Windeck ist tot!“ Als junge Frau hatte Arnoldine sich unter Anleitung ihres Lehrers, einem Mitglied der Familie des weltberühmten Arthur Rubinstein, zu einer erstklassigen Pianistin entwickelt und in vielen europäischen Städten Konzerte gegeben. Täglich hatte sie bis zum Tode ihres Mannes auf ihrem Steinway gespielt. Dass ihr Flügel zwanzig Jahre später vollständig restauriert die Residenz des deutschen Botschafters in Brüssel zieren sollte, erlebte sie nicht mehr. Im September 1945 verstarb die alte Dame, die - ebenfalls im April 1945 - auch den Tod ihres Sohnes Oscar zu verkraften gehabt hatte. Im Zuge um den Widerstand des 20. Juli 1944 war er kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Mauthausen zu Tode gekommen. Für die Familie kam es noch schlimmer. Oscars Frau Tilda, Enkelin des Firmengründers Werner von Siemens, starb einen Monat nach ihrer Schwiegermutter im Dattenfelder Krankenhaus und Veras Vater Waldemar im Januar 1946 im Altwindecker Landhaus Burgwiese. Seinem Privatförster hatte er noch den Auftrag gegeben, Fichten für ein Notdach für das ausgebrannte Schloss schlagen zu lassen.

Foto: Familienarchiv Caminneci

Die Nachkriegsverhältnisse, die schwierige Erbfolge und fehlende finanzielle Mittel verhinderten die zeitige Sicherung des Gebäudes, das zum Magneten für Steinebrecher und Souvenirjäger wurde. Im März 1962 erwarb der damalige Sieg-Kreis das Gelände und begann mit dem Abriss der Reste der Schlossruine. Große Mengen Grauwacke-Bruchstein fanden Verwendung zur Restaurierung der zusehends verfallenden Burgruine Windeck.

Foto: Familienarchiv Caminneci

Bis heute schmerzt Vera Lwowski die sinnlose Zerstörungswut der letzten Kriegstage, von der auch andere schöne Burgen und Schlösser betroffen waren, aber irgendwie hat sie auch ihren Frieden geschlossen und meint: „Ich habe so schöne Erinnerungen an das Schloss, ich bin manchmal ganz froh, dass es nicht wieder hergerichtet wurde und heute vielleicht eine Tagungsstätte oder etwas Ähnliches wäre.“

 

Noch im Jahr 1964 zeugten die Überreste von der zauberhaften Schönheit des Schlosses (Bild: Heinz Patt, Dattenfeld)

(sc)

 

Ruine Burg Windeck
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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