Oberbergisches Verkehrsleben im alten Schladern

Text | Dorfgeschichten | Freitag, 01 Januar 1960

Von Auguste Peters, geb. Schneider (1880 – 1969)
  

Pferdeskizze vonKarl Peters (Sohn von Auguste Peters) 

Als im Anfang der Sechziger Jahre (des 19. Jahrhunderts) die Deutz-Gießener Eisenbahnlinie dem Verkehr übergeben wurde, war das kaum ein Dutzend Häuser zählende Schladern als Bahnstation mit einem Schlage ein Hauptverkehrspunkt des Oberbergischen. Um diese Zeit wurde gegenüber dem Bahnhof das „Gasthaus zum Deutschen Hause“ gebaut. Damals begann jenes rege Leben des Handels und des Verkehrs. Da waren zunächst die Kärrner, schlichtweg Fuhrleute genannt. Gewöhnlich nahmen sie die „Kiehr“ (Fahrt) an einem Tage. Wenn die Güterabfertigung der Bahn ihnen Ungelegenheiten machte, übernachteten sie im Gasthaus und stellten ihre Pferde in den geräumigen Stallungen unter.

Die Fuhrleute bildeten einen streng einheitlichen Typus. In Sitten, Gewohnheiten, Kleidung unterschieden sie sich kaum wesentlich. Sie trugen durchweg derbe, hohe Schnürstiefel, eine Hose aus englischem Leder, die halblang den Schuhschaft nicht berührte, so dass der farbige Strumpf ein paar fingerbreit sichtbar blieb. Unter dem blauen Kittel trugen die Kärrner einen braunen oder schwarzen Samtrock, der unter dem Kittel hervor sah. Typisch war auch das buntgewürfelte wollene Halstuch, welches im weiten Abstand über dem Kittel getragen und vorne in einem großen losen Knoten geschlungen wurde. Als Kopfbedeckung diente eine hohe Tuchkappe mit großem Lederschirm. Der Fuhrmannskittel war kurz und weit und wurde vorne in einen wuchtigen Knoten geschlungen. So schritt der Kärrner in leicht hüpfender Gangart, dem Fuhrmannsschritt, seinem Gefährt voraus, in der rechten Hand die Peitsche und in der linken die Pfeife im gleichen Takt mitschwingend. Den Tabakbeutel trugen die Fuhrleute in der Rocktasche, aus ihr heraus baumelte an einem Kettchen der Pfeifenstocher und Feuerschwamm. Das Gefährt war meist ein breiträdriger Karren, bei den Kolonialwaren- und Ballenkärrnern mit grauem Plantuch überspannt. Unter dem Karren hing das Rosstuch, welches zur Aufnahme kleinerer Futter- und Mundvorräte diente, daneben baumelten die Schmierkanne und die Laterne.

Die Pferdedecken waren aus blauer Leinwand und rundherum mit roter Litze eingefasst, die Geschirre der Pferde mit Messingscheiben und Ringen, den „Nürnberger Rosen“, reich verziert. An dem hochstehenden Kummet hingen die blank geputzten Schellen. Mancher Wirt an der Landstraße verstand sich auf deren Klang so vorzüglich, dass er danach für den Fuhrmann jeweils den „Klaren“ oder den „Münsterländer“ zurechtsetzte. Das unaufhörliche Räderknarren, Pferdewiehern, Hufestampfen, Kettenrasseln, Peitschenknallen und Hü-Hott der Fuhrleute, das wie eine Flutwelle über die Landstraße zwischen Schladern und Waldbröl auf und ab wogte, war für die Aufzählung aller damit Beschäftigten zu mannigfaltig. Da waren die Eisenstein- und Kohlefuhrwerke der Grube Kömpel bei Morsbach. Sie brachten Erze an die Bahn und nahmen Kohlen mit zurück. Für die Grube Silberhardt in Öttershagen fuhren jahrzehntelang der alte Immanuel Gelhausen, der uns verwandte Thomas Öttershagen und der originelle Hannes Becher, von dem noch mancher derbe Spaß in guter Erinnerung ist. Die Eisenhammer- und Achsenschmiede Oberwiehl schickte Achsen und holte Kohle. Ferner seien noch genannt die Gebrüder Albrecht Marienberghausen, deren Kärrner den schwierigen Transport von Stellsteinen hatten für den Bau von Hochöfen und die Eisenwerke Zapp Ründeroth. Dann der Spediteur Kaufmann Nümbrecht, Treibholz Wiehl, Breiderhoff Wildbergerhütte und die Waldbröler Häuser Ispert, Steiniger, Huland und Bertram. Die Spinnerei Kind und Kattwinkel Bielstein entsandte unter anderen den ollen Ballenschmedt, der ein Fuhrmann alten Schlages war. Wenn er in Schladern übernachtet hatte und in aller Morgenfrühe seine Zeche beglich, was meist ohne Beisein des Wirtes geschah, so zog er mit Kreide einen Kreis auf den Tisch, in welchen er einen Groschen legte, den „Lachgroschen“, den die Magd für das Stiefelschmieren bekam. Zuletzt wollen wir noch die Gebrüder Spieß Nümbrecht erwähnen, die die Pulvertransporte von der Pulvermühle Elisental bei Dattenfeld vorm Berg nach Breitscheid im Westerwald führten und deren Kärrner in Schladern regelmäßig Quartier machten.

Außer den Spieß‘schen Pulverfuhren kamen noch die „Renschen“. Das waren riesige Pulverkarren, gewöhnlich mit zwei schweren belgischen Hengsten bespannt. Sie kamen von Schlebusch bei Köln und fuhren nach Passau in Bayern. Die Fuhrleute übernachteten stets in Schladern und stellten die gefährlichen Fuhrwerke unterhalb des Ortes am Krummauel unter. Während der Nacht mussten diese bewacht werden, zu welchem Dienst sich mancher gerne einfand, denn die Pulverwachen wurden gut bezahlt. Besonders lebhaft und reizvoll wurde der Verkehr in Schladern durch den Viehhandel; denn es trafen sich hier die Viehhändler, Handelsleute genannt, aus dem Ober- und Niederbergischen, dem Sauerlande, dem Hessischen, dem Westerwald und von der unteren Sieg, da Schladern nach Hennef und Gießen den größten Viehverladebahnhof der Strecke hatte. So war es kein Wunder, dass der Ort, besonders während der Markttage einem argentinischen Viehhof glich, und das Brüllen der Ochsen, das Plärren und Blöken der Stiere und Kälber, das Hoi! Hoi! der Treiber erfüllte alles mit ununterbrochenem Lärm von früh bis spät.

Auch an anderen Tagen war der Viehantrieb rege. Einmal war es der Ochsenwirt aus Burscheid, der einen Transport Ochsen zu verladen hatte, ein andermal waren es Stern und Rüben Wetzlar, Gebrüder Marx Altenkirchen, Gebrüder Cürten Opladen, Isaak und Salomon Bähr Nümbrecht. Einmal kamen Milchkühe zum Verladen, ein andermal Schlachtvieh, an manchen Tagen wurden Kälber verladen oder Jungvieh. Immer war es ein neues, stets belebtes Bild, das der Viehantrieb bot, und nur selten war der Platz vor der Rampe still und leer. Aufsehen machte es, wenn die Gebrüder Weber Schladern Bullen zum Verladen antreiben ließen. Der Transport der Tiere aus entlegenen Gehöften an die Bahnstation gestaltete sich schwierig. Die Bullen, welche damals nie auf die Weide gingen, waren halbwild und besonders, wenn sie der Vogelsberger Rasse angehörten, sehr bösartig. Sie wurden an einem Nasenring und starkem Kettenzaum geführt. Hinter dem Tier ging ein Mann, der eine Leine hielt, die kreuzweise um Vorder- und Hinterbeine geschlungen war; wurde an der Leine gezogen, so hob sich ein Vorderbein, und das Tier stand auf drei Beinen. Es kam auch vor, dass besonders wilden Tieren ein Pfahl über beide Hörner gebunden wurde, an dessen Ende ein starker Mann, der sich darauf warf und so das Tier fügsam machte. Eine Selbstverständlichkeit war das Blindbinden der Stiere. Es gab auch eine qualvolle Art, Bullen zu transportieren. Dem Tier wurde ein Hanfstrick mit einer Schlinge ums Vorderbein gebunden, das andere Ende fest um die Hörner gewickelt, so dass das Tier den Kopf tief halten musste. Es kam dann aber meist durch das fortwährende Reiben des Strickes dazu, dass das Vorderbein bis auf die Knochen wund gescheuert wurde. Da kamen schöne mittelschwere Ochsen und Bullen der bergischen Rasse, bleichrot mit weißer Blesse und langen gebogenen Hörnern, oder fuchsrote Ochsen und Kühe des Vogelsberger Schlages mit breiter Wamme, kleinen, nach innen gebogenen Hörnern und schwarzer Nase.

Schön war auch das Wällervieh aus dem Westerwald, mittelgroß, von dunkelbrauner Farbe mit weißer Blesse und langen, leierartig gebogenen Hörnern, die in schwarzen Spitzen endeten. Halbe Tage standen oft ganze Vieherden auf dem Verladeplatz; die Tiere, vom weiten Marsch ermüdet, träge kauend, geifernd mit vorgestrecktem Kopf. Gab es dann Friedensstörer unter ihnen, so fuhr ihnen ein schwarzzottiger Treiberhund kläffend zwischen die Beine, oder es ließ mit Wettern und Fluchen der Treiber seinen Knüppel auf sie niedersausen. Dazwischen die blauen Wanderkittel der Handelsleute. Diese gingen hin und her, feilschend, Pfeife rauchend, den Ochsenziemer an einem Lederriemen um das Handgelenk geschlungen.

Nicht minder rege wie hier draußen war das Leben und Treiben in den Gaststuben. An den Holztischen der Gastwirtschaft „Deutsches Haus“ saßen Juden und Christen aller Herren Länder, zankten, disputierten oder spielten Sechsundsechzig, tranken Schnaps aus dicken Gläsern und stippten die vorzüglichen Brezeln und Wecken in den Bohnenkaffee.

 

Hier müssen wir aber auch noch die Schweinehändler erwähnen, die ihre besondere Rolle spielten. Man kann sie sich nicht anders denken als klein, breitschultrig, dickbäuchig, mit einem runden bartlosen und stets heiteren Gesicht. Sie trugen einen fast immer neuen Kittel, eine hohe schwarze Seidenkappe, rauchten nie und hatten ihren Lederbeutel stets mit blanken Silbertalern gefüllt. Schweine wurden nur am Sonnabend- und Sonntagnachmittag verladen. Es ging dabei besonders geräuschvoll zu und der sachkundige originelle Halscheid-Wellem leistete bei diesen Geschäften Großes. Das Liefern einer fetten Sau gestaltete sich mitunter zu einem Idyll. Der Bauersmann, den Strick haltend, ging hinter dem Tier, vorsichtig, bedächtig, sittsam im blauen Leinenkittel und Seidenhalstuch. Etwas zaghaft schritt das Weiblein voraus, den guten Wollrock aufgerafft, das zweihenkelige Deckelkörbchen in der einen Hand, in der anderen ein Knift Brot, den sie dem Tier in Riechweite vorhielt. War dann der sauer erworbene Erlös eingebracht, so trank man beim Schneidersch Fritz einen süßen Schnaps und aß einen Wecken dazu. Aber das Weiblein kam noch auf seine besondere Rechnung, denn „Hä“ war heute bei guter Laune und kaufte für ein paar Groschen Gebäck. Sie hatte das Körbchen nicht umsonst mitgebracht.

 

Es gab auch noch Reisende anderer Art, und für den Personenverkehr war wiederum Schladern Ausgangs- und Zielpunkt des Oberbergischen. Wenn der Postwagen in aller Morgenfrühe den Bahnhof verließ und im Mai unter blühenden Kastanienbäumen dahinrollte, dann erklang sein Horn silberhell in den Ort zurück.

 

Im „Deutschen Haus“, Zeichnung von Karl Peters

 

  

 

Fuhrwerke und Pferde, Zeichnung von Karl Christian Peters, Sohn der Autorin

Aber nicht immer verliefen die Postfahrten angenehm. Postillion und Reisende hatten oft mit Schwierigkeiten zu rechnen. Sehr häufig geschah es, dass zur Winterzeit besonders in der Nutscheid-Gegend die Post einschneite. Auch Glatteis bot unüberwindliche Hindernisse, und oft musste der Schmied mitten in der Nacht hinaus, um die Postpferde zu schärfen. Der Sturm hatte schon mal einen Baum über die Straße geworfen und der Postillion musste die Axt zur Hand nehmen und mit Hilfe einiger Reisender das Verkehrshindernis beseitigen. Auch räuberische Überfälle blieben nicht unversucht, denn das Postsäckel war mitunter gut gefüllt. Bei länger anhaltenden Eis- und Schneeperioden fuhr die Schlittenpost. An Festtagen sah man auch die dickbäuchigen, blankgeputzten Bauern-Landauer und andere altmodische Staatskarossen der oberbergischen Gutsbesitzer auf dem Bahnhofsvorplatz halten. Es wurde allerlei Festbesuch, meist Familienangehörige, von der Bahn abgeholt. Da waren auch noch die Kiepenträger, die einst eine bedeutende Rolle im oberbergischen Handel spielten und durch die Eisenbahn noch nicht ganz vertrieben waren. Sie unterhielten einen schwunghaften Handel mit Speck, Bohnen, Dörrobst, Wachs, Honig, Hanf, Wolle und mit Kolonialwaren, Tabak, Spirituosen, sogar mit Büchern, Stoffen und Töpferwaren. Einheimische Produkte brachten sie zu Fuß auf die Kölner, Bonner und Neuwieder Märkte. Die Kolonial- oder Importwaren brachten sie von dort in die Heimat mit und tauschten sie wieder in die Landesprodukte um.

Die letzten der alten bergischen Träger waren der hünenhafte Hekeschpetter und der schwerhörige Schnorrtommes. In Schladern waren sie gern gesehene Originale, die im blauen Leinenkittel und hoher Tuchkappe, die dreistöckige Kiepe auf dem Rücken, fast täglich dort zu finden waren. Zweimal in der Woche waren auch die Besenleute zur Stelle. Sie kamen von der Nutscheid runter, Männer und Frauen, jeweils ein mannshohes Bündel Heidebesen auf dem Kopfe tragend, fuhren mit der Bahn in ihr Absatzgebiet im Siegerland und kamen abends zurück. Auf den nördlichen Ausläufern des Bodenberges gedeiht eine vorzügliche Besenheide, der die Nutscheid-Bewohner ihren Broterwerb verdankten. Hier sollte man noch der Amerikaauswanderer besonders der Achtziger Jahre (des 19. Jahrhunderts) gedenken und jener meist bekümmert wirkenden Eisenbahnreisenden, die nach Bonn fuhren. Denn davon hieß es in Schladern: Alles wat no Bonn kütt os verspielt: entwedder et cheht en dä Kleneck, odder an et Gericht, no dönn Soldaten, odder in de Bläch (entweder es geht in die Klinik oder ans Gericht, zu den Soldaten oder ins Gefängnis).

Anmerkung von Frieder Döring: Aus dieser „wilden Zeit“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach dem Bau des Schwerpunktbahnhofs Schladern und seines Güterbahnhofs, der für die ganze Region zuständig war, stammt das berühmte Wort vom „Schloadoner Wönk“ (Schladerner Wind), der das „internationale“ Geschnatter im „Deutschen Haus“, der Bahnhofswirtschaft, dem Hotel Klever, dem Gasthof Kammerich und dem „Bergischen Hof“ samt den dazugehörigen Originalen und Geschichtenerzählern bezeichnete.

 

 

 

Falkenweg 3
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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