Blaue Steine in der Sieg

Text | Personen | Sonntag, 15 September 2002

Fundort: Sieg
von Sylvia Schmidt

Erschienen in NEWS -das Magazin September 2002

Die Sieg, ist wie ein offenes Buch, doch nur wenige können in diesem Buch aus alter Zeit lesen. Wir, in der Redaktion, können es auch nicht, aber wir haben uns auf die Suche nach Menschen begeben, die schon vor uns neugierig geworden sind und es verstehen, den alten Bodensatz der Sieg zu deuten. Dabei interessierte uns: Woher kommen die blauen und grünen Steine im Flussbett?

Die vielen, eher kleinen, strahlend blauen Steine und die weniger häufigen, hellgrünen, oft glatt geschliffenen Steine sind auffallend häufig in der Sieg bei Dreisel zu finden. Wir sprachen mit Harald Patzke vom Silberbergwerk in Öttershagen und mit Werner Schmidt aus Dreisel, der seit vielen Jahren in der Umgebung auf der Suche nach Relikten aus der Vergangenheit ist und Kisten, voller Fundstücke, zusammengetragen hat. Sie konnten uns erklären, was es mit den Steinen auf sich hat, die als Restmaterial bei der Erzgewinnung oder der Glasherstellung anfallen.

Das die blauen und grünen Steine sich in der Sieg bei Dreisel konzentrieren, wird einen kaum verwundern, denn es gibt neben Vermutungen auch Fakten, die sich belegen lassen. Rund um den kleinen Ort Dreisel sind immer wieder Siedlungsspuren aus verschiedenen Jahrtausenden, bis in die Zeit weit vor Christi Geburt, gefunden worden. So haben beispielsweise die Kelten in der Zeit um 100 v. Chr. vielfältige Spuren hinterlassen.

Die Fundorte alter Siedlungsplätze geben Auskunft über die damalige Lebensweise. Die Menschen bauten keine geschlossenen Siedlungen, sondern Höfe im Abstand von etwa 300 bis 400 Metern, umgeben von dem notwendigen Ackerland. Ihre Häuser aus Lehm und Holz standen immer in der Nähe des Wassers, an Quellen oder am Fluss. Das waren gleichzeitig die idealen Voraussetzungen zur Verhüttung der Erzvorkommen, deren Spuren man noch an vielen Plätzen in unserer Region finden kann, auch in Dreisel. Beim Hausbau mit Lehm, entstanden Gruben, die man mit Abfällen wie Scherbenmaterial, Holzkohle und zerbrochenen Gefäßen auffüllte oder man nutzte sie als Schotter für die Wege.

Bis Ende des 12. Jahrhunderts wurden in unserer Gegend Rennfeueröfen benutzt, kleine Tonöfen, die in der Nähe von Siefen mit einer Quelle und Eisenerzvorkommen standen. Die Schlacken sind Restprodukte des Schmelzprozesses, beispielsweise von Eisenerz. Eisenerz enthält einen Eisenbestandteil von 25 – 60 Prozent. Das Erz wird bei 900 - 1100 Grad zu einer klumpigen Masse geschmolzen, dabei wird das Eisen von den Resterzbestandteilen wie Tonerde oder Quarz getrennt. Das Erz und die Restminerale haben unterschiedliche Schmelzpunkte und eine andere Dichte. Das schwerere Erz sinkt bei der Erhitzung nach unten, die leichten Reststoffe schwimmen oben. Damit auch sie gebunden werden, werden Flussstoffe dazugegeben, z. B. Kalkstein. Bei diesen Temperaturen tritt bei dem Restmaterial (Schlacken) eine Verfärbung ein. Die Schlacken der Rennfeueröfen waren schwarz und grau. Der Nachteil der unmittelbar Stahl erzeugenden Öfen bestand darin, dass nur 60 Prozent des Eisens als Ausbeute aus den Steinen gelöst werden konnte. Weiterhin musste aus dem Stahlklumpen restliche Schlacke ausgeschmiedet werden.

Dieses Wissen, lässt eine ziemlich genaue Datierung der blauen und grünen Steine zu, denn etwa ab dem 13. Jahrhundert benutzte man die Verwandten unserer heutigen Hochöfen, die Blasöfen. Die mit höheren Temperaturen von 1200 bis 1600 Grad arbeitenden Eisen erschmelzenden Öfen produzierten, durch das bei diesen Temperaturen höhere Lösungsvermögen, farbige Schlacken. Die Ausbeute lag bei ca. 90 Prozent Eisen. Blasöfen standen dort, wo es viel Wasser gab, entweder an Endläufen von Bächen oder direkt am Fluss. Das Wasser wurde auf ein Mühlrad geleitet, in Dreisel vermutlich in der Nähe der Straße „Am Eisenwoog“, um die Blasebälge anzutreiben. Die Blasebälge transportierten mehr Luft in den Schmelzprozess, so dass höhere Temperaturen entstanden. Im Gegensatz zu den Rennfeueröfen wurde nicht nur die Schlacke, sondern auch das Eisen nun richtig geschmolzen. Die Schlacken aus den Blasöfen verfärbten sich blau durch die Eisenoxide und Sulfide, und grünen Steine erhielten ihre Farbe wahrscheinlich durch Mangan.

Doch Halt, wir sind mit unserer Spurensuche noch nicht am Ende. Werner Schmidt hat in seiner Sammlung viele Glasfunde, nicht nur Glasschlacken, sondern auch Glasscherben, Glasperlen, Glasringe und uralte Glasknöpfe in Blau, zusammengetragen. Die Perlenfunde deuten auf die keltische Zeit. Wahrscheinlich fand die Perlenproduktion an den La Tène-Plätzen (Siedlungsplätze) statt.  Die Glasherstellung wurde seit der Antike als Geheimnis innerhalb bestimmter Familien gehütet und von Generation zu Generation weitergegeben.  Will man also wissen, welche Art von Stein man in der Hand hält, muss man den Stein zertrümmern. Funkeln Glitzerpartikel, sind es Glasschlacken. Sieht der Stein aber innen genauso aus wie außen, handelt es sich um Erzschlacke. 1981 wurde oberhalb des Hauses von Werner Schmidt ein Siedlungsplatz mit alten Keramikbruchstücken vom Rheinischen Landesmuseum ausgegraben und auf die späte Eisenzeit 100 v. Chr. bis 50 n. Chr. datiert.

Die blauen und grünen Steine, ebenso wie Scherben und Perlen findet man überall, wo einst Bergbau war. Quellzuflüsse und die Sieg transportieren sie in unserer Region weiter. Und nach jedem Hochwasser gibt die Sieg ein neues Kapitel der alten Geschichten frei, man muss sie nur lesen können. (sc)

Bilder : Werner Schmidt

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